„Gibt es irgend in der Welt, nicht bloss im Orient, ein Volk von Gentlemen, so ist dies das türkische. Jeder Kenner dieser braven, liebenswürdigen, grundehrlichen und dafür von aller Welt verlästerten und verleumdeten Nation, wird dies unterschreiben, auch wenn der Chorus der internationalen Langohren sein angelerntes Anathema schreit. Tatsächlich gibt es kaum eine Staats- und gesellschafterhaltende Tugend, die dem Türken — insbesondere dem anatolischen — nicht eigen wäre: Herzensgüte und Ehrlichkeit, Toleranz und Nächstenliebe, demokratischer Gleichheitssinn und unbedingte Loyalität gegen die Regierung, so drückend die staatliche Notwendigkeit auch auf ihm lasten möge, endlich natürlicher Anstand und Mässigkeit und eine von der Religiosität nicht in Banden gehaltenen Intelligenz. Welch hohe Lebensweisheit, welch sittlicher Ernst, welches Gemüt spricht nicht schon aus den teilweise sogar aus vorislamscher Zeit stammenden türkischen Sprüchwörtern: „Wer von der Lüge sich entfernt, der nähert sich Gott.“ — „Mann ist, wer sein Wort hält.“ — »Tue das Gute, und wirf es ins Meer; sieht es der Fisch nicht, so sieht es der Herr.“ — „Tue Gutes denen, die dir Böses antun, so wirst du bei Gott Gnaden finden“ u. s. w, Maximen, denen der gute Moslim in seinem Wandel weit eifriger nachzuleben pflegt, als der Christ den ähnlich lautenden Befehlen Jesu. […]
Der Grundzug des osmanischen Charakters, auf dem sich das Wesen des Volkes aufbaut, ist Gutmütigkeit, natürliche Demokratie und absolute Ehrlichkeit. Ein stark ausgeprägter Familiensinn, eine rührende Eltern- und Kindesliebe verbinden sich beim Türken mit einer tiefen Sittlichkeit, einem Horror vor aller europäischen Verderbtheit. Körte — wie ausser ihm v. d. Goltz, Vambery u. a. — rühmt immer wieder des Türken innere Vornehmheit. Namentlich im Punkte der Humanität ist es unbestreitbar, dass die demokratisch organisierte, türkische muselmansche Gesellschaft der christlich-europäischen lange voranging und ihr in der praktischen Menschenliebe noch heute weit überlegen ist. Das Fehlen des offiziellen Applombs kommt der Entfaltung dieser natürlichen, selbstverständlichen, idealen Mildtätigkeit in ihren tausenderlei Formen zu gute, sodass A. Gescher mit Recht der türkischen Gesellschaft einen „fast sozialistischen Anstrich“ zuerkennt. […]
Was den Türken vor den orientalischen Christen fernerhin vorteilhaft auszeichnet, ist sein Anstand, sein Ernst, seine gravitätische Würde, gepaart mit einer zur Wissenschaft ausgebildeten Höflichkeit. […]
Ein auf seine Würde haltendes, gutes und ernstes Volk ist auch ein ehrliches Volk, wie denn schon Moltke immer von den „ehrlichen“ oder den „braven“ Türken spricht und wie kein Geringerer als Fürst Bismarck sie als die „einzigen Gentlemen des Orients“ bezeichnet. Schon die Chronisten der Kreuzzüge, die Villehardouin, Joinville u. a. sind des Lobes voll über die skrupulöse Treue, mit der die Osmanen ihr Wort zu halten pflegten — ganz im Gegensatz zu den Griechen und Lateinern, die die guten Kreuzfahrer so … . christlich an der Nase herumführten und begaunerten. […]
Auch an anderen türkischen Eigenschaften könnten sich die Völker, könnte sich die „Kultur Europas“ ein Beispiel nehmen: an der weitberühmten türkischen Mässigkeit und an der nicht minder löblichen Reinlichkeit. Beide Eigenschaften sind freilich durch den Koraan geboten, wie auch dasEvangelium bekanntlich zur Mässigkeit mahnt. Nur lässt sich der Muselman durch sein Religionsgesetz leiten, während der Christ, bei aller theoretischen Frömmigkeit , demselben meist ein Schnippchen schlägt. Sprichwörtlich ist die türkische Reinlichkeit. Die fünfmaligen religiösen Waschungen (das Reinigen der Zähne eingeschlossen!) haben mindestens den sehr hohen weltlichen und materiellen Nutzen, den Bekenner Allah’s zu einem Prachtexemplar von Sauberkeit zu machen. „Wo könnte“, — schreibt Scarfoglio, — „in Europa eine Volksmenge zusammenkommen, ohne dass, zumal im Süden, sich ein Meer von Düften entwickelte, die in nichts an die Wohlgerüche Arabiens erinnern ?“ —Bei einer türkischen Volksmenge — vorausgesetzt, dass sie nicht zu sehr mit Christen durchsetzt sei, denn der Kreuzesbekenner hält das Sich-Waschen für Sünde, — ist nichts von alledem. Während man in Europa nur in gewissen, ganz besonders reinlichen Ländern und Städten „badet“, ist im Orient Stadt und Land mit Badehäusern bedeckt. Derselbe Reinlichkeitssinn zeigt sich auch im Äussern der Türken-Quartiere, während die Christen-Quartiere meist von Schmutz starren. […]
Dass die Türken aber nicht erst seit heute die Abendländer an Reinlichkeit und Anstandssinn übertreffen, das lesen wir sogar in dien „Efemerides expeditionis adversus Turcas.“ Sie melden nämlich betrübt, dass nach der Erstürmung Grans (1595) der deutschen Söldner Erstes gewesen, das von den Türken peinlich sauber gehaltene Schloss sofort mit gemeinstem Unrat zu besudeln und die Altertümer und die Kunstschätze zu zertrümmern. Und das waren zivilisierte europäische Christen, nicht etwa türkische Barbaren! […]
Bei seiner angeborenen Intelligenz, die nach Vambery und v. d. Goltz die des orientalischen Christen übertrifft (wenn auch nicht auf dem Gebiete des Handelns und Schacherns), ist der Türke der wahrhaft ideale, der gehorsamste und beste aller Staatsbürger der Welt. Mit feinem Empfinden für alles ihm zugefügte Unrecht, voll des ausgesprochensten Gleichheitssinnes, des keine Kastenvorurteile kennenden moslimschen Bürgerstolzes, blickt er zu seinem Herrscherhause mit unbeschränktem Vertrauen empor. Seine Ehrfurcht vor dem Padischah, als dem Vertreter Gottes und des Propheten, ist unbegrenzt und seine politische Loyalität über jeden Zweifel erhaben. Das Kannegiesser- und Politikastertum seiner christlichen Nachbarn hat ihn in keiner Weise angesteckt, wenngleich sich auch bei ihm eine öffentliche Meinung geltend macht, eine Öffentliche Meinung, zu der sich jeder Monarch beglückwünschen könnte, weil sie sich niemals zu der im Sultan politisch wie religiös verkörperten Staatsidee in Gegensatz bringt. Darum liegen auch dem geduldigen und vertrauensvollen türkischen Volke Regungen ferne, vor denen heute in Europa den Regierenden bangt. Das Volk steht eben immer und wie selbstverständlich hinter der Regierung, um, — wie wir beim armenischen Aufruhr gesehen, — die der Staatsexistenz gefährlichen revolutionäre Elemente zu neutralisieren. […]
Zwar sind die Zeiten jetzt ernst, und mit eiserner Faust schlägt die Notwendigkeit ans „Tor der Glückseligkeit“. Gott sei Dank, dass das türkische Volk die Spannkraft, die jugendliche Energie besitzt, im Sturme auszuharren.“
(Dr. Hans Barth, Türke, wehre dich!, Gebhardt und Wilisch, 1898)
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