Die 3. Frage des “Kritikers”

3. Warum steht nach islamischem Recht auf Apostasie (Abfall vom Glauben, Austritt aus dem Islam) die Todesstrafe?

Mein Versuch einer Antwort:

Es handelt sich hier um eine rein theologische Frage, welche auch nur rein theologisch beantwortet werden kann. Diese Antwort wird den „Kritiker“ mit höchster Wahrscheinlich wohl nicht befriedigen, da er ja mit dem Hintergrund fragt „warum“ es im islamischen Recht so praktiziert wird. Die einzige Antwort darauf kann nur sein, „Weil es so in den islamischen Quellen gefordert wird!“.

Die Quellen zur Herleitung von Urteilen im islamischen Recht sind in erster Linie der Quran und die Sunnah. Weitere Quellen sind in den 4 verschiedenen islamischen Rechtsschulen unterschiedlich geregelt. In der hanbalitischen Rechtsschule kommt als dritte Quelle noch der Ijma‘ (Übereinstimmung der Rechtsgelehrten) hinzu, der Qiyas (Analogieschluss) ist nicht verbindlich, wird aber in Ausnahmen akzeptiert. Die schafiitische Rechtsschule gleicht in der Quellenabfolge der hanbalitischen, mit dem Unterschied, dass der Qiyas als verbindlich gilt. Die hanefitische Rechtsschule kennt neben den Quellen Quran, Sunnah, Ijma‘ und Qiyas noch Istihsan („das Fürguthalten“) und Ra’y (die freie ‚quellenunabhängige‘ Meinungsäusserung), welche aber heute wohl nicht mehr oder nur selten Anwendung finden. Die malikitische Rechtsschule kennt wohl die meisten Quellen in der Herleitung von Urteilen. Hier sind zu nennen Quran, Sunnah, Ijma‘, Qiyas, Sunnat al-Ashaab (Sunnah der Prophetengefährten), Sunnatu-t-Tabi’in (Sunnah der Nachfolgegeneration der Prophetengefährten), Sunnah Ahl al-Madina (Sunnah der Bewohner von Medina zur Lebenszeit von Imam Malik) und al-Masalih al-Mursala (die Dinge die Nutzen bringen).

Ein einsichtiger Mensch wird man hier ganz klar erkennen können, dass es bei derlei unterschiedlichen Rechtsquellen durchaus auch zu verschiedenen Urteilen kommen kann. Es besteht allerdings ein Ijma‘, dass die Strafe für erwiesene Apostasie (im Sinne des islamischen Rechts) die Todestrafe ist. Aber wann eine solche Apostasie tatsächlich erwiesen ist und die Bedingungen für die Vollstreckung des Urteils erfüllt sind, dass ist unter den Gelehrten (Rechtsschulen) strittig. Die Lektüre folgenden Textes kann eventuell Einblick verschaffen.

„Auf Apostasie im Sinne des Hochverrats steht grundsätzlich die Todesstrafe, das ist unbestritten. Unter welchen Bedingungen sie verhängt werden kann ist äußerst strittig. Strittig ist schon, wann ein Abfall vom Islam vorliegt. Es ist aber herrschende Auffassung, dass nicht nur der tatsächliche Übertritt zu einer anderen Religion darunter zu verstehen ist, sondern auch das Leugnen von absoluten Glaubenswahrheiten und entsprechendes Handeln ohne rechtfertigende Stütze durch den Qur’an oder die Sunna. Die frühen islamischen Gelehrten sahen im Vernachlässigen des Pflichtgebetes mit der Überzeugung, dass es nicht verbindlich ist, schon einen Abfall vom Islam. Auch ein Bekenntnis zu bestimmten, den islamischen Vorstellungen eindeutig zuwider stehenden Überzeugungen, wie etwa der Wiedergeburt in Form von anderen Menschen oder Tieren auf dieser Welt, oder religiösen Handlungen, wie z.B. des Betens zu jemand anderem als zu Allah, etwa zu einem Menschen, den man als heilig ansieht oder gar einem Propheten, und selbst die Beschäftigung mit Zauberei soll zu einem Abfall vom Islam führen.

Strittig sind weiters auch die Regelungen zur Reue, die den Straftatbestand wieder beseitigt. Hier herrscht Unklarheit über die Reuefristen und darüber, wie man mit dem Apostaten bis zur Reuebekundung oder bis zum Ablauf der Frist verfahren soll.

Weiter oben wurde jedoch beschrieben, dass es, durch die historische Interpretation in Bezug auf den Zeitpunkt der Anordnung dieses Straftatbestandes und die teleologische Interpretation im Hinblick auf den primären Zweck der Todesstrafe in diesem Zeitpunkt, auch eine juristische Rechtfertigung für die Ansicht gibt, die den Tatbestand der Apostasie auf die Fälle beschränken will, in denen die islamische Grundordnung gefährdet wird, somit Hochverrat, sodass die Todesstrafe nicht verhängt werden kann, wenn sich die Tatfolgen nur auf den persönlichen Lebensraum auswirken.

Dies wird auch dadurch gestützt, dass die Ahadith (Überlieferungen) von Todesstrafen berichten, die der Prophet (s.a.w.s.) an Apostaten vornehmen ließ, und die aufgrund zusätzlicher Umstände angeordnet wurden, nämlich bestimmter Straftaten, die die Täter begangen haben (z.B. Raubmord).

(Quelle: Islamisches Strafrecht – Untersuchungen zur Rechtslehre und zur Rolle der Politik im Strafsystem der Scharia, Dr jur. Jasmin Pacic, Seite 184)

Um auch in dieser Angelegenheit wieder den Bogen zur deutschen Tradition (die ja bekanntlicherweise christlich-jüdisch ist) zu spannen, rezitiere ich folgende Verse aus der Bibel bzw Thora:

„Wenn in deiner Mitte, in einem der Stadtbereiche, die der Herr, dein Gott, dir gibt, ein Mann – oder auch eine Frau – lebt, der tut, was in den Augen des Herrn, deines Gottes, böse ist, und sich über seinen Bund hinwegsetzt, wenn er hingeht, anderen Göttern dient und sich vor ihnen niederwirft – und zwar vor der Sonne, dem Mond oder dem ganzen Himmelsheer, was ich verboten habe-,wenn dir das gemeldet wird, wenn du den Fall anhängig machst, genaue Ermittlungen anstellst und es sich zeigt: Ja, es ist wahr, der Tatbestand steht fest, dieser Gräuel ist in Israel geschehen!, dann sollst du diesen Mann oder diese Frau, die den Frevel begangen haben, den Mann oder die Frau, zu einem deiner Stadttore führen und steinigen und sie sollen sterben. Wenn es um Leben oder Tod eines Angeklagten geht, darf er nur auf die Aussage von zwei oder drei Zeugen hin zum Tod verurteilt werden. Auf die Aussage eines einzigen Zeugen hin darf er nicht zum Tod verurteilt werden. Wenn er hingerichtet wird, sollen die Zeugen als Erste ihre Hand gegen ihn erheben, dann erst das ganze Volk. Du sollst das Böse aus deiner Mitte wegschaffen.“

(Devarim bzw 5. Buch Mose, Kapitel 17, Verse 2-7)

Im Wörterbuch des jüdischen Rechts liest sich das so:

„Die Mischna (Sanh. 7, 1) spricht in Übereinstimmung mit den halachischen Midraschim von 4 Todesarten:

1. Steinigung (sekila).
2. Verbrennen (serefa).
3. Enthauptung (hariga oder hereg).
4. Erdrosselung (chanika oder chenek).

Im Verhältnis zueinander galt die Steinigung als die härteste T., dann folgen Verbrennung, Enthauptung und Erdrosselung. Die Unterscheidung ist für die Anwendung im Falle von Gesetzeskonkurrenz von Bedeutung, indem dann von zwei in Betracht kommenden Strafarten die härtere angewandt wird.

Mit Steinigung (Sanh. 7, 4ff.) wurden vor allem bestraft die Religionsverbrechen, so der Götzendienst und die Anstiftung zu demselben (Deut. 13, 11), Zauberei und Wahrsagerei, Gotteslästerung (Blasphemie), Entweihung des Sabbats. Ferner Inzest-Verbrechen (Lev. 20, 11; 12), Notzucht an einer Angetrauten (Deut. 22, 24) und widernatürliche Unzucht (Lev. 20, 13) sowie Fluch und Widerspenstigkeit gegen die Eltern (Lev. 20, 9; Deut. 21, 18).“

(Wörterbuch des jüdischen Rechts, Marcus Cohn, Seite 163)

Der „Kritiker“ kann sich ja überlegen, ob er vielleicht seinen Fragenkatalog auch an die Juden richten möchte.

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Über Jens Yahya Ranft

Jens Yahya Ranft, Jahrgang 1975, verheiratet, 3 Kinder, Geschäftsführer und Prokurist in einem kleinen deutsch-arabischen Unternehmen. Urheber dieses Blogs. Liest und publiziert vor allem in den Bereichen Staats- und Religionsgeschichte, (Sozio-)Ökonomie, politische Philosophie und Soziologie.

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