Materialien zur Geschichte der Wahaby – 07.3 – Kriegsberichterstattung

Mustafa Bey, berauscht von gutem Erfolg und von dem Weine zu Tayf, glaubte ganz allein im Stande zu sein, die Wahaby zu unterjochen. Die Stadt Taraba, etwa 70, oder 80 englische Meilen von Tayf in östlicher Richtung entfernt, gehörte zu den wichtigsten festen Punkten, welche die Wahaby der Provinz Nedschid mit denen der Gebirge Jemens verbanden. Zu Taraba wohnten die Begum-Araber; und seit den Kriegen der Wahaby mit dem Scherif Ghaleb hatten sie ihre Stadt mit einer Mauer und einem Graben befestigt; auch der dichte Wald von Dattelbäumen, in welchem dieselbe lag, gewährte ebenfalls Schutz. Mustafa Bey rückte gegen Taraba, fand aber Widerstand in der Gebirgsgegend und musste mit einem Verlust von 4, oder 500 Mann nach Tayf zurückkehren. Othman el Medhayfe war unterdessen mit seiner leichten Reiterei nicht untätig: er durchschwärmte die Gegend nach allen Richtungen, schnitt eine Menge Nachzügler ab, unterbrach oft die Kommunikation mit Mekka und beunruhigte den ganzen Sommer von 1812 die Garnison von Tayf. Der Scherif Ghaleb, welcher gleich dem Othman seine Beduinenreiter hatte, bot 5000 Dollars als eine Belohnung für die Gefangennahme Othmans. Persönliche Feindschaft gegen seinen Schwager, welcher die Hauptursache alles seines Missgeschickes mit den Wahaby gewesen war, siegte in diesem Punkte über seinen Verstand, und er bedachte nicht, dass, wenn die Beduinen in der Gegend von Mekka diesen Anführer verlören, die Türken es leicht finden würden, sich im Lande festzusetzen und ihn selbst seiner Autorität zu entkleiden.

Auf einer seiner Streifereien kehrte der Medhayfe in einem kleinen Kastell, namens Byssel, ein, welches er selbst in den Gebirgen vier, oder fünf Stunden östlich von Tayf angelegt hatte. Als der Scherif Ghaleb erfuhr, dass er sich an diesem Orte befinde, sendete er aus Tayf ein starkes Truppencorps, welches das Kastell umgab und es bald in Brand steckte. Jetzt stürzte sich der Medhayfe mit etwa 30 Mann, die alle wie Beduinen von der ärmsten Klasse gekleidet waren, auf den Feind und schlug sich durch. Eine Wunde entkräftete indessen seine Stute und sie konnte ihn nicht weit mehr tragen. Er entfloh nun zu Fuße und entkam zwar seinen Verfolgern; als er aber am folgenden Tag im Zelt eines Beduinen, vom Stamme der Ateybe Zuflucht suchte, wurde er ergriffen und zum Scherif gebracht welcher dem Beduinen die versprochene Summe bezahlte und seinen Gefangenen mit Ketten belastete. Medhayfe wurde nun nach Dschidda und Kairo und endlich nach Konstantinopel gesendet, wo der jüngste Sohn Mohammed Alys den edlen Gefangenen nebst den Schlüsseln der heiligen Städte und vielen anderen kostbaren Gaben dem Sultan überreichte. Der Medhayfe wurde bald nach seiner Ankunft, wie sich das erwarten ließ, enthauptet, und so verloren die Wahaby ihren tätigsten und kühnsten Parteigänger in Hedschaz. Er war im September 1812 gefangen genommen worden.

Hedschaz war jetzt wieder zur Unterwürfigkeit gebracht, und die heiligen Städte waren frei. Die Pilgerkarawane von Kairo langte im November 1812 mit all ihrem gewöhnlichen Pomp zu Mekka an und vollbrachte die Wallfahrt mit der gehörigen Zeremonie. Die syrische Karawane konnte es bis jetzt noch nicht wagen, durch die Wüste zu ziehen, weil die Kastell auf der Wallfahrtsstraße und die mit ihnen verbundenen Wasserbehälter noch nicht wiederhergestellt, auch keine Vorräte von Lebensmitteln angeschafft worden waren. Ahmed Bonaparte war nach Kairo zurückgekehrt; Tusun Bey, ernannter Pascha von Dschidda, war im Winter 1812 als Pilger nach Mekka gekommen und hatte den Diwan Effendy, einen Beamten vom Hofe seines Vaters, als Gouverneur in Medinah zurückgelassen.

Obschon die fünf Städte von Hedschaz sich jetzt in den Händen der Türken befanden, so war doch die Macht der Wahaby noch unerschüttert. Alle Stämme östlich von den Gebirgen, welche Arabien von Norden nach Osten parallel mit dem Meere durchschneiden, erkannten noch Saud als Oberherrn an; und wo die Türken den Beduinen im freien Felde begegneten, wurden sie jedes Mal geschlagen. Das Benehmen des Scherif’s war auch keineswegs geeignet, seinen Alliierten Vertrauen einzuflößen. Unter diesen Umständen hielt es Mohammed Aly Pascha für nötig, persönlich den Kriegsschauplatz zu besuchen und einen Hauptschlag auszuführen, der seine Autorität in Hedschaz fest begründen und ihn in den Stand setzen sollte, für sich selbst das ganze Verdienst der Eroberung in Anspruch zu nehmen. Es war bekannt, dass der Sultan ihm den peremtorischen[1] Befehl gegeben habe, sich selbst an die Spitze seiner Truppen in Arabien zu stellen; und da Ägypten seit dem Jahr 1811 völlig unterworfen war, so hatte er keine Entschuldigung mehr für seinen Ungehorsam. Die schwachen Überreste der Mammelucken waren aus Oberägypten vertrieben worden und hatten sich nach Dongola zurückgezogen. Ahmed Aga Las, ein berühmter Arnautenanführer und Gouverneur von Genne, der einzige Mann von Einfluss unter den Soldaten, und gegen dessen Absichten der Pascha Argwohn hegte, wurde nach Kairo gelockt, und seine Hinrichtung ist ein fernerer Beweis (wenn ein solcher überhaupt nötig wäre) von der geringen Achtung, welche Mohammed Aly seinen feierlichsten Versprechen von sicherem Geleit erzeigte. Als Mohammed Aly Kairo verließ, blieb Hossein Bey als Gouverneur der Stadt und Unterägyptens, und Ibrahim Pascha, sein ältester Sohn, als Gouverneur von Oberägypten zurück. Beides waren Männer von bedeutenden Talenten, nämlich Hossein Bey im Militärfach und Ibrahim Pascha in der Zivilverwaltung.

Mohammed Aly schiffte sich zu Suez mit 2000 Mann Infanterie ein, während ein ebenso starkes Korps Reiterei, begleitet von einer Karawane von 8000 Kamelen, um dieselbe Zeit den Landweg einschlug. Tusun Pascha war beschäftigt, seine Truppen zu Mekka zu sammeln, als sein Vater im September 1813 zu Dschidda anlangte. Scherif Ghaleb befand sich gerade in dieser Stadt und begab sich an Bord des Schiffes, welches den Pascha trug, um ihn zu begrüßen, selbst ehe er noch ans Land gestiegen war. Bei dieser Gelegenheit beschworen sie auf den Koran, nie etwas gegen das Interesse, die Sicherheit, oder das Leben des anderen Teiles zu unternehmen, ein Gelübde, welches sie einige Wochen nachher im heiligen Tempel zu Mekka feierlich und öffentlich erneuerten, und zwar auf den ausdrücklichen Wunsch des Scherifs, der noch nicht wusste, dass kein Versprechen heilig genug ist, um einen Osmanen zu binden. Der Scherif beseitigte auch mit dem Pascha einige Schwierigkeiten, welche zwischen ihm und dem türkischen Gouverneur zu Dschidda entstanden waren; denn seitdem die Türken im I6ten Jahrhunderte Hedschaz erobert hatten, galt das Gesetz, dass die Zölle von Dschidda zwischen dem Pascha dieses Platzes und dem Gouverneur von Mekka geteilt werden sollen. Ghaleb hatte sie sich ausschließlich zugeeignet, und der Pascha hatte versprochen, seinen Besitz derselben nicht zu zerstören.

Nachdem Mohmmed Aly in Mekka angelangt war, machte er den Ulama Geschenke und verteilte Almosen unter die Armen. Er fing auch an, den großen Tempel auszubessern, und verwendete große Summen, sowohl für den Dienst, als für die Verschönerung desselben. Aber seine erste und dringendste Rücksicht war damals die Sorge für den Transport der nötigen Lebensmittel von Dschidda nach Mekka und nach Tayf. Dschidda war die große Niederlage von Lebensmitteln und Kriegsvorräten für die Armee geworden. Alle Schiffe dieses Hafens und desjenigen von Yembo (deren Zahl nicht unbedeutend ist), wurden für diesen Transport benutzt, und Mohammed Aly hatte mit dem Imam von Maskat einen Mietkontrakt von zwanzig Schiffen auf ein ganzes Jahr abgeschlossen.

Der Pascha hatte gewünscht, dass eine kleine Fregatte, das einzige ihm gehörige Kriegsschiff, welches im Hafen von Alexandria vor Anker lag, ums Kap der guten Hoffnung herum, ins Rote Meer segeln solle; aber die englische Regierung wollte ihm dieses nicht erlauben, weil sie wahrscheinlich wusste, dass das Schiff bei seiner schlechten Bemannung in Gewässern zu Grunde gehen würde, welche türkischen Seefahrern unbekannt sind; und dass alsdann der Verlust, von den argwöhnischen Türken, geheimen Befehlen der englischen Regierung schuld gegeben werden könne. Ein Engländer, welcher einige Zeit lang in Ägypten sich aufgehalten hatte, erbot sich, dass Schiff bei hohem Wasser nach Kairo zu schaffen und dann auf Walzen durch die Wüste nach Suez. Er schien die Überzeugung zu haben, dass die Sache ausführbar sei; aber sein Vorschlag wich zu sehr vom gewöhnlichen Gange der Dinge ab, als dass ihn die Türken annehmen konnten.

Man fand es viel schwieriger, Vorräte von Dschidda nach dem nicht entfernten Mekka, als von Ägypten nach Dschidda zu senden. Die meisten Kamele. welche die Reiterei nach Hedschaz begleitet hatten, starben kurz nach ihrer Ankunft. Bei der beständigen Passage von Karawanen, waren die Kräuter auf dieser Straße bald konsumiert und für die Kamele gab es, außer einer kleinen Quantität Bohnen, des Abends gar kein Futter. Von dieser kleinen Ration wurde noch ein Teil von den Kameltreibern entwendet, die ägyptische Bauern und mit Gewalt aus ihrer Heimat fortgeschleppt worden waren. Sie verkauften diese Bohnen an die Beduinen in Hedschaz. Von 8000 Kamelen, welche Mohammed Aly zu Lande gesendet hatte, lebten drei Monate nach ihrer Ankunft nur noch 500. Eine Aufsicht über das Detail seiner Armeeversorgung zu führen, hielt Mohammed Aly ganz unter seiner Würde; auch hätte er keine heilsamen Anordnungen treffen können, ohne die ganze Verwaltung seiner Armee zu verändern, denn jedes Individuum, vom Niedrigsten bis zum Höchsten, ging auf Unterschleif [Unterschlagung] aus. Die Beduinen, welche sich den Türken angeschlossen hatten, besaßen wenig Kamele, wie es bei allen denen der Fall zu sein pflegt, welche in gebirgigen Distrikten leben. Nur wenige wagten es, ihre Kamele für den Dienst der Armee anzubieten; und während des ganzen türkischen Krieges waren nie 500 Kamele aus Hedschaz zusammen. Durch diese Umstände fand sich der Pascha in seinen Unternehmungen gelähmt. Die gegenwärtige Zahl der Kamele war kaum ausreichend, den Truppen zu Tayf und Mekka ihre täglichen Bedürfnisse zu liefern; und der Pascha bot den Beduinen so wenig Geld, dass nur wenige von ihnen Lust hatten, ihre Kamele für diesen Zweck herzugeben.

Da er indessen bei seiner Ankunft in Mekka die Sache dringend fand, so bat er den Scherif seinen ganzen Einfluss bei den benachbarten Arabern anzuwenden und sie zu ersuchen, soviel als möglich Kamele zu liefern. Für diesen Zweck gab er eine große Summe Geldes her, welche an die Scheikhs verteilt werden sollte. Aber ein Beduinen-Scheikh hat keine despotische Gewalt in seinem Stamme und kann noch viel weniger dem Geringsten seiner Araber ein Kamel mit Gewalt wegnehmen. Der Scherif und die Araber-Scheikhs gaben die schönsten Versprechungen. Man verlangte einen zweiten Geldvorschuss vom Pascha, und es kamen noch immer keine Kamele.

Der Pascha, welcher während seines ersten Aufenthaltes in Mekka den Scherif auf freundlichem Fuße besucht hatte, wurde jetzt in seinen Freundschaftsbezeigungen kalt. Der Scherif seinerseits beklagte sich darüber, dass die Zölle von Dschidda, ungeachtet der Versprechen Mohammed Alys, von den Beamten desselben zurückgehalten würden, und jede Partei gab bald der anderen schuld, dass sie hinterlistig zu Werke gehe. Die innige Verbindung des Scherifs mit allen benachbarten Stämmen, die ihn seit der Gefangennahme des Medhayfe als ihren Beschützer gegen die Wahaby und gegen die Osmanen betrachteten, erregte beim Pascha ebenfalls Argwohn, und er gewann die Überzeugung, dass, solange der Scherif in seiner Würde bleibe, er selbst keine Aussicht habe, seine Operationen mit Erfolg fortzusetzen. Mohammed Aly hatte vom Sultan einen Firman[2] erlangt, in welchem ihm erlaubt war, gegen den Scherif zu handeln, wie er es für zweckmäßig finden sollte, sodass er ihn entweder an der Spitze der Regierung lassen, oder absetzen und gefangen nehmen konnte. Dies erklärte wenigstens der Pascha öffentlich, nachdem er den Scherif Ghaleb gefangen genommen hatte.

Jetzt war nun sein Hauptziel darauf gerichtet, den Scherif festzunehmen und einzukerkern; nur war dieses eine schwierige Unternehmung. Ghaleb hatte zu Mekka gegen 1500 streitbare Männer und noch andere Truppen zu Tayf und zu Dschidda. Die benachbarten Araber waren alle mehr geneigt, den Ghaleb, als den Pascha zu begünstigen, gegen welchen man sie leicht zu Feindseligkeiten hätte aufreizen können. In Mekka bewohnte der Scherif einen festen Palast am Abhang eines Hügels, auf welchem ein Kastell stand, das mittelst eines unterirdischen Ganges mit dem Palast verbunden war. Das Kastell war von seinem älteren Bruder Serur erbaut und von ihm neu befestigt worden, als er von Mohammed Alys Rüstungen zu einem Feldzuge nach Arabien gehört hatte. Das Kastell war gut verproviantiert; in seinen Zisternen war Reichtum an Wasser, und eine Garnison von achthundert Mann mit einem Dutzend schwerer Geschütze verteidigte es beständig. Die ganze Stadt wurde von diesem Kastell beherrscht, welches in Bezug auf die Mittel, die dem Mohammed Aly zu Dienste standen, für unüberwindlich gelten konnte. Viele andere von Ghalebs Truppen, z. B. die Scherifs von Mekka mit ihren Anhängern, mehrere bewaffnete Sklaven und Söldner aus Jemen waren in der Stadt selbst einquartiert, oder bildeten seine Leibwache. Er merkte bald, dass Mohammed Aly mit treulosen Absichten gegen ihn umgehe.

Es ist ausgemacht, dass, wenn Ghaleb sein feierliches Versprechen gebrochen und den Pascha angegriffen haben würde, welcher damals nur zwölfhundert Mann zu Mekka hatte, er ihn, mit Hilfe der Beduinen, aus der Stadt vertrieben haben würde. Aber welche Beschuldigungen gegen den Scherif wegen Despotismus auch nur aufgestellt worden sein mögen, so können ihm doch seine bittersten Feinde nicht schuld geben, dass er ein Versprechen gebrochen habe, obschon die Türken zu verstehen geben wollen, dass er gegen die Person Mohammed Alys einen Plan angelegt habe.

Ghaleb besuchte den Pascha nicht mehr auf eine so vertrauliche Weise, wie ehedem. Wenn er ihm in seiner Wohnung (einer geräumigen Schule neben der großen Moschee) einen Besuch abstattete, so war er immer von mehreren hundert Soldaten begleitet; und endlich stellte er seine Besuche gänzlich ein, indem er seinen Palast nur an Freitagen verließ, wenn er zum Gebet in die Moschee ging. Mohammed Aly bemühte sich vergebens, ihn von seiner Wache abzubringen und besuchte ihn zweimal, nur von einigen Offizieren begleitet, in der Meinung, dass Ghaleb auf ähnliche Weise diesen Besuch erwidern werde. Er hatte sich sogar vorgenommen, ihn in der Moschee ergreifen zu lassen; aber von dieser Maßregel hatte ihn der, unlängst aus Konstantinopel angekommene, Kadi abgebracht, welcher die Unverletzlichkeit dieses heiligen Asyls sehr streng verteidigte. Diesen Umstand erzähle ich aus einer sehr guten Quelle.

Es vergingen fast vierzehn Tage, dass sich Mohammed Aly täglich vergebliche Mühe gab, seinen Zweck zu erreichen. Endlich ersann er eine List, welche die große Erfahrung beweist, die dieser Mann in der Kunst des Fangens erlangt hatte. Er ließ seinen Sohn Tusun Pascha, welcher damals zu Dschidda war, an einem gewissen Abend in später Stunde nach Mekka kommen. Der Etikette gemäß musste ihn der Scherif willkommen heißen, denn die Unterlassung einer solchen Zeremonie würde, türkischen Ansichten nach, einer Kriegserklärung gleichgekommen sein. Ghaleb, der da wünschte, seinen Besuch abzustatten, ehe neue Pläne gegen ihn ersonnen werden könnten, kam den Morgen nach Tusuns Ankunft sehr früh und trat nur mit geringer Begleitung in seine Wohnung ein. Dies war vorhergesehen worden, und schon den Tag vor der Ankunft seines Sohnes hatte Mohammed Aly etwa hundert Soldaten den Befehl gegeben, sich in verschiedenen Zimmern zu verbergen, die an den Hof des Hauses stießen, in welchem Tusun absteigen sollte. Dieses taten sie auch auf eine Weise, dass niemand sonderlich etwas davon gemerkt hatte. Als Ghaleb anlangte, führten ihn die Diener die Treppe hinauf, unter dem Vorwand, dass Tusun von seiner Reise ermüdet sei; und die Hauptbeamten des Scherifs mussten unten verweilen. Er trat ins Zimmer des Paschas und unterhielt sich mit ihm einige Zeit lang; aber als er endlich fortgehen wollte, meldete ihm Abdin Bey (ein Anführer der Arnauten), dass er ihr Gefangener bleiben müsse. Die verborgenen Soldaten stürzten aus ihren Schlupfwinkeln hervor, und Abdin Bey, nebst dem Tusun Pascha, nötigte den Scherif, sich selbst am Fenster zu zeigen und seinen Leuten unten zu befehlen, nach Hause zu gehen, da keine Gefahr vorhanden sei.

Sobald dieses öffentlich bekannt wurde, flüchteten sich die beiden Söhne Ghalebs mit ihren Truppen ins Kastell und machten Anstalten zur Verteidigung. Der Scherif benahm sich sehr gelassen: „Hätte ich selbst mich treulos benehmen wollen,« sagte er zu Tusun Pascha in Gegenwart seiner Offiziere, „so würde dieses nicht so gekommen sein;« und als ein Firman[3] (ob derselbe echt, oder nachgemacht gewesen, hat sich nicht ausmitteln lassen) ihm vorgezeigt wurde, der seine Anwesenheit in Konstantinopel nötig machte, antwortete er: „Gottes Wille geschehe; ich habe mein ganzes Leben auf Kriege mit den Feinden des Sultans verwendet und kann mich deshalb nicht fürchten, vor ihm zu erscheinen.“ Solange das Kastell noch in den Händen der Söhne Ghalebs blieb, war die Sache nur halb gewonnen. Der Scherif wurde deshalb gezwungen, seinen Söhnen schriftlich zu befehlen, das Kastell an Mohammed Aly zu übergeben, unterzeichnete aber diesen Befehl nicht eher, als bis man ihn mit dem Verluste seines Lebens bedrohte.

Den folgenden Tag besetzten die Türken das Kastell, und die Garnison zerstreute sich unter die benachbarten Beduinen, oder ging zu den Wahaby. Der Kadi, nebst einem Beamten des Paschas und einem anderen des Scherifs, wurde beauftragt, ein Verzeichnis des ganzen Eigentums des Scherifs aufzunehmen, und für diesen Zweck wurden seine verschiedenen Paläste zu Mekka genau durchsucht. Der Betrag des Gefundenen wurde auf etwa 250,000 Pfund Sterling geschätzt.

Nachdem der Scherif einige Tage zu Mekka gefangen gehalten wurde, wurde er im November nach Dschidda gesendet, wo er an Bord eines Schiffes geschafft und dann nach Cosseir gebracht wurde. Ich war gerade in Genne in Oberägypten, als er den 1. Januar 1814 von Cosseir daselbst ankam und hatte Gelegenheit, ihn zu sehen. Sein Mut schien ungebrochen; er sprach dreist und mit großer Würde, erwähnte aber nie den Namen Mohammed Alys, oder seines Sohnes. Er hatte bei sich zwölf Eunuchen, einige arabische Diener und zwei seiner Söhne, welche zu Dschidda freiwillig zu ihm gekommen waren. Unter den wenigen Gegenständen seines Gepäcks bemerkte ich ein schönes Schachbrett, und es wurde mir dabei erzählt, dass er täglich einige Stunden mit seinem Lieblings-Eunuchen Schach spiele.

Zu Kairo fand er seine Weiber, welche mit seinem ganzen Eigentum, wie man es in seinen Palästen zu Mekka gefunden hatte, über Suez gesendet worden waren, denn Mohammed Aly hatte Befehl erhalten, nicht den geringsten Teil davon zu behalten. Einer seiner Söhne starb zu Alexandria, und der andere folgte seinem Vater nach Salonika, was ihm die Pforte zu seinem Aufenthalt angewiesen hatte, und wo er eine monatliche Pension erhielt, wie sie seinem Rang angemessen war. Einige weibliche Sklaven, ein jüngerer Sohn und eine Schwester Ghalebs blieben in Mekka. Der Scherif selbst und seine ganze Familie starben im Sommer 1816 zu Salonika an der Pest. Abdallah Ibn Serur, ein Vetter des Scherif Ghaleb, wurde den Tag nach der Gefangennahme des letzteren, festgenommen und ebenfalls nach Kairo geschafft. Es gelang ihm zu entkommen, aber er wurde durch die Beduinen von Suez wieder gefangen und zurückgebracht. Da er mit Ghaleb immer in Feindschaft gelebt hatte, so sah man keinen Grund ein, weshalb derselbe ergriffen worden sei, außer denjenigen vielleicht, dass er in Mekka starken Anhang hatte. Auf Befehl der Pforte wurde er indessen bald nachher wieder in Freiheit gesetzt.

Der Scherif Ghaleb hatte während seiner Regierung in Mekka mit großer Tapferkeit gegen die Wahaby, wie auch gegen seine eigenen Verwandten gefochten, die sich ihm oft entgegensetzten. Seine große Erfahrenheit und seine genaue Kenntnis der Beduinen und ihrer Politik, wie auch sein Scharfblick und seine Beredsamkeit, machten ihn ganz besonders für die Regierung von Mekka tauglich; aber er war habsüchtig und ungerecht in seinen Geldforderungen und legte schwere Strafen für die kleinsten Vergehen auf, sodass er wegen seines Geizes allgemein gehasst war. Während einer Regierung von 28 Jahren muss er in Mekka bedeutende Schätze aufgehäuft haben, wo er mit geringem Aufwand lebte. Da man nach seiner Gefangennahme, außer dem obenerwähnten Eigentum, nichts weiter fand, so vermuten viele Personen, dass er privatim beträchtliche Geldsummen, oder Gegenstände von Wert nach Ostindien, besonders nach Bombay, gesendet habe, mit welchem Hafen er seit langer Zeit in Handelsverkehr stand. Mohammed Aly wollte glauben machen, der Scherif habe die Absicht gehabt, nach Bombay zu entfliehen; die Sorgfalt, mit welcher er indessen sein Kastell zu Mekka befestigte und verproviantierte, bewies vielmehr, dass er entschlössen war, Widerstand zu leisten und die Türken selbst im Weichbilde[4] der heiligen Stadt zu bekämpfen.

Die Gefangennahme des Scherif Ghaleb verbreitete Schrecken über alle Mekkaner und Beduinen. Mehrere Häuptlinge der letzteren, welche Ghaleb bei Mohammed Aly eingefühlt hatte, und mit welchen man in Unterhandlung getreten war, flohen von Mekka und kehrten nach Taraba, dem Wasserplatz der Wahaby, zurück. Alle Freunde Ghalebs in Mekka und mehrere Familien mächtiger Scherifs verließen mit ihrem Anhang die Stadt und flüchteten sich in die Zelte ihrer Nachbarn, da sie nicht wussten, ob nicht der Pascha die Absicht habe, das ganze Geschlecht der Scherifs auszurotten. Unter diesen befand sich auch Scherif Radscheh, ein entfernter Verwandter des Ghaleb und ein Mann in Hedschaz, der sich durch Mut, Urteil und Freigebigkeit am meisten auszeichnete. Diesem hatte Mohammed Aly das Kommando über einige hundert Beduinen übergeben und ihn beauftragt, noch andere für seinen Dienst anzuwerben. An dem Tage, wo Ghaleb festgenommen wurde, verließ Radscheh die Stadt Mekka und ging mit seinen Leuten nach Derayeh, der Residenz Sauds, der sich darüber freute, einen Mann von solchem Einfluss und solchen Talenten zu erhalten. Er gab ihm eine beträchtliche Geldsumme und ernannte ihn an die Stelle des Medhayfe zum Emir el Omera, oder zum Oberhaupt der Beduinenhäuptling in Hedschaz.

Die Gefangennahme Ghalebs verursachte einen Stillstand und eine Stockung in allen politischen Angelegenheiten des Landes. Solche offenbare Treulosigkeit entfernte von den Türken selbst diejenigen, welche am heftigsten gegen die Wahaby waren, und die Lage Mohammed Alys wurde jetzt sehr kritisch. Personen, welche sehr gut unterrichtet sind, meinen, dass, wenn der Pascha Willens gewesen sei, sich des Scherifs zu bemächtigen, er dieses so lange hätte verschieben müssen, bis einige mächtige Beduinen-Scheikhs zu ihm übergetreten wären und wirkliche Feindseligkeiten gegen die Wahaby ausgeübt gehabt hätten, wodurch es schwierig, oder unmöglich für sie geworden wäre, den Pascha wieder zu verlassen. Mohammed Aly beurteilte ohne Zweifel die Absichten des Scherifs nach seinen eigenen und befürchtete selbst als ein Opfer der Treulosigkeit zu fallen, wenn er dem Scherif zur Ausführung seiner Pläne Zeit lassen würde.

Aber darin irrte er sich. Ghaleb war sicherlich kein Freund der Osmanen, hasste aber andererseits ebenso sehr die Herrschaft der Wahaby. Sein Plan war, beide Teile zu schwächen, und dabei dachte er niemals an persönliche Treulosigkeit gegen den Pascha, denn für die Erhaltung der Sicherheit desselben hatte er ja ein feierliches Gelübde getan.

Ein Mann aus dem Geschlechte der Scherifs, namens Yahya, weitläufig verwandt mit Ghaleb und ehemals sein Gegner, wurde von Mohammed Aly zum Gouverneur von Mekka gemacht, weil er ihn als einen Mann ohne Talente und ohne Ruf kannte, und der Meinung war, dass derselbe eine wahre Null sein würde. Der Pascha eignete sich das ganze Einkommen Ghalebs in Dschidda und Mekka zu und setzte dem Yahya nur einen monatlichen Gehalt von dreißig Beuteln aus, sodass derselbe in der Tat nicht viel mehr, als ein Beamter des Mohammed Aly war.

Um diese Zeit hatte Mohammed Aly nichts anderes im Sinn, als Mekka und Tayf aus Dschidda zu verproviantieren, und nachdem ihm dieses hauptsächlich mit letzterem Ort gelungen sein würde, einen entscheidenden Schlag auf seine Feinde zu führen, welche durch seine lange Untätigkeit so kühn geworden waren, vor den Toren von Tayf und Mekka Kamele wegzunehmen. Auch die Beduinen legten Verachtung gegen die Macht des Paschas an den Tag, den sie schon wegen seiner Treulosigkeit verabscheuten. Unter den Feinden der Türken in der Gegend von Mekka hatten keine entschiedenere Feindseligkeit bewiesen, als die Araber des Stammes Begum, die auch Taraba bewohnten und schon bei einer früheren Gelegenheit dem Mustafa Bey eine Niederlage beigebracht hatten. Die meisten Truppen Ghalebs hatten sich nach der Gefangennahme ihres Herrn nach Taraba geflüchtet, und Scherif Radscheh hatte hier sein Hauptquartier aufgeschlagen. Mit ihm hatte sich Aly el Medhayfe, der Bruder des obenerwähnten Othman, ein einflussreicher Mann in seinem Lande, vereinigt, sodass Taraba für alle südlichen Wahaby in gleichem Maß, wie Derayeh für die nördlichen, der Bereinigungspunkt wurde.

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[1] endgültigen

[2] Vollmacht

[3] Erlass, Dekret, Vollmacht oder Verordnung eines Souveräns

[4] gesamten Wohngebiet

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Über Jens Yahya Ranft

Jens Yahya Ranft, Jahrgang 1975, verheiratet, 3 Kinder, Geschäftsführer und Prokurist in einem kleinen deutsch-arabischen Unternehmen. Urheber dieses Blogs. Liest und publiziert vor allem in den Bereichen Staats- und Religionsgeschichte, (Sozio-)Ökonomie, politische Philosophie und Soziologie.

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