Die Vorstellung von freier Marktwirtschaft im frühen Islam – Das vor-islamische Mekka und sein Hinterland (2. Teil)

Der folgende Text stammt von Suleyman Dost, einem türkischstämmigen Doktoranten des Fachbereichs »Nah-östliche Sprachen und Zivilisationen« an der University of Chicago (hier ein Auszug aus seiner Dissertation), und wurde von mir (Yahya ibn Rainer) in die deutsche Sprache übertragen. Das englischsprachige Original ist »HIER« zu finden.

Das vor-islamische Mekka und sein Hinterland: Ein deutliches Beispiel für einen freien Markt

Der Boden, der eine Weltreligion gebar, Mekka, war auch außergewöhnlich fruchtbar in einer anderen Hinsicht, denn im 6. Jahrhundert christlicher Zeitrechnung war es ein Hauptknotenpunkt der Handelsrouten auf der arabischen Halbinsel, welche vom heutigen Syrien, im Norden, bis nach Jemen und Abessinien (Äthiopien) im Süden reichte. In der Tat ist es so, dass die unvergleichlich rasche Expansion der frühen islamischen politischen Ordnung am wesentlichsten durch die Existenz dessen erläutert werden kann, was von fast allen Autoren als „the Meccan trade“ (der mekkanische Handel) bezeichnet wird. Dies wird besonders prägnant von dem Historiker M. A. Shaban zum Ausdruck gebracht, der sagt:

„Zu versuchen eine Abhandlung über die Aktivitäten Mohameds in Mekka und Arabien zu verfassen, ohne dabei den Handel zu berücksichtigen, würde einer Studie zum heutigen Kuwait und Saudi-Arabien gleichkommen, ohne dabei Bezug auf den Ölreichtum zu nehmen.“ [1]

Diese Ansicht wird auch von dem Autor zweier angesehener Werke über das Leben des Propheten geteilt, nämlich J. M. Watt, der behauptet, dass der Aufstieg des Islams besonders dem pulsierenden Handel geschuldet war, der von den Händlern der Halbinsel etabliert wurde. [2] Die Frage, die uns hier beschäftigt, ist, ob dieser Handel unter freien Marktbedingungen stattfand, und die frühen Aufzeichnung der Islamischen Geschichte zeigen, dass dies tatsächlich der Fall war.

Bereits früher waren die vorislamischen mekkanischen Händler extrem empfindlich, was den Schutz des Privateigentums angeht, welches bei ihnen als nahezu unantastbar galt. Ibn Ishaq zum Beispiel berichtet in seinem Werk „Sirat Rasul Allah“, dass der Grund für den Angriff des  Yamani Königs auf Yathrib (heute Medina) die Tötung eines seiner Männer war, der dabei erwischt wurde, wie er Dattel-Büschel von den Palmen eines Bauerns abschnitt. Die Worte, die der Bauer spricht, „die Frucht gehört dem, der sich kultiviert“ [3], sind besonders interessant, weil sie eine kurze und knappe Formulierung von John Lockes Definition von Privateigentum darstellen.

Die Allianz der Fudul (Hilf al-Fudul), ein Bund des örtlichen Stammesadels, der sich kurz nach der Geburt Mohameds gründete, sollte an dieser Stelle auch erwähnt werden, da es ihr Hauptziel war, die Eigentumsrechte derjenigen zu schützen, die mit den Mekkanern Handel trieben, um somit einen reibungslosen Ablauf aller Handelsaktivitäten in der Stadt zu gewährleisten. [4]

In Ermangelung eines starken Staatswesens veranschaulichte dieser Bund die Bereitschaft der verschiedenen Stämme, einen freien Handel ohne Hindernisse zu ermöglichen. In der Folge dieses Bundes erreichten mekkanische Familien ein Abkommen über die Zuteilung von Dienstleistungen für die geschäftlichen und religiösen Besucher von Mekka und dies hatte eine beträchtliche kommerzielle Auswirkung, da diese Tätigkeiten, neben weiteren, zu einer „erheblichen Verbesserung der logistischen Koordination“[5] der Händler führte, was wiederum die Etablierung eines freien Marktes begünstigte.

Für mekkanische Händler stellte dieser Handel auf der Halbinsel einen wesentlichen Vorteil dar, da die saisonalen Pilger-Ströme, die durch die Hajj erzeugt wurden, zu dramatischen Veränderungen des örtlichen Verhältnisses zwischen Angebot und Nachfrage führten. Heck argumentiert wie folgt: Auch wenn mekkanische Händler auf ihren bekannten Sommer und Winter-Handelskarawanen meist gleichbleibende Handelsgüter exportierten und importierten, eröffnete für sie die Versorgung der Pilger (in Mekka) eine äußerst lukrative Form des Handels, da die wechselnde Nachfrage in der Region den Vorteil bot, in Damaskus einzukaufen, um es dann im Hijaz zu einem höheren Preis wieder zu veräußern.[6]

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Fußnoten

[1] Quoted in Berg, C. & Kemp A. Islam’s Free Market Heritage. Institute of Public Affairs Review, Vol. 59, No.1 (2007) pp. 11. Please note that direct quotations from Turkish sources are my translations.

[2] Heck G. W. „Arabia without Spices“: An Alternate Hypothesis. Journal of the American Oriental Society, Vol. 123, No. 3 (2003) pp. 549

[3] Guillaume A. The Life of Muhammad: A Translation of Ibn Ishaq’s Sirat Rasul Allah, Oxford: Oxford University Press (2004) pp. 7

[4] bid. pp. 57-58

[5] Heck, op. cit. pp. 575

[6] Ibid. pp.

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Über Jens Yahya Ranft

Jens Yahya Ranft, Jahrgang 1975, verheiratet, 3 Kinder, Geschäftsführer und Prokurist in einem kleinen deutsch-arabischen Unternehmen. Urheber dieses Blogs. Liest und publiziert vor allem in den Bereichen Staats- und Religionsgeschichte, (Sozio-)Ökonomie, politische Philosophie und Soziologie.

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