von Yahya ibn Rainer
(dieser Beitrag erschien zuerst am 14.08.2015 auf ahlu-sunnah.com)
Es gab mal eine Zeit der Ritterlichkeit im Kampfe. Lange ist es her. Die Männer standen sich in der Schlacht gegenüber, Auge in Auge. Entweder tötete man sich gegenseitig bis zum bitteren Ende oder der unterlegene Gegner ergab sich und unterwarf sich der Willkür des Siegers, der ihn entweder kurz und schmerzlos hinrichtete, in Gefangenschaft nahm, in die Knechtschaft überführte oder ihm, im Akt der Barmherzigkeit, verzieh und ihn laufen ließ.
Dies alles gab es in den guten alten Zeiten des ehrenhaften ritterlichen Kampfes. Der eigentliche abendländische Begriff der »Ritterlichkeit« war übrigens ebenfalls geprägt vom Kampfverhalten der frühen arabischen Krieger, die im Namen Allahs weite Teile des Orients eroberten und auch in Europa einfielen.
Sogar der große deutsche Dichter Wolfram von Eschenbach (ca 1170-1220) kam nicht umhin, in seinem legendären Epos des »Parzival« dem arabischen Rittersmann eine tragende Rolle einzuräumen. So schrieb die Religionswissenschaftlerin und Germanistin Frau Dr. Sigrid Hunke in ihrem Buch „Allahs Sonne über dem Abendland – Unser arabisches Erbe“ auf Seite 200 folgendes:
»Diese arabische Ritterlichkeit hat das germanische Rittertum unmittelbar angesprochen und tief beeindruckt. In der Gestalt des „edlen Heiden“, der im Verzicht auf den Sieg das Schwert fortwirft und dem tapferen Gegner über alle nationalen und religiösen Schranken hinweg die Hand reicht, hat der ritterliche Wolfram von Eschenbach der arabischen Ritterlichkeit ein ergreifendes, unvergängliches Denkmal gesetzt: erst der „Heide“ Feirefiz lehrt seinem Helden Parzival die letzte Stufe wahren Rittertums erklimmen.«
Heute, im Zeitalter des Sprengstoffes und seiner zahlreichen Trägersysteme (Flugzeuge, Hubschrauber, Drohnen, Raketen und Märtyrer-Operanten), hat der ritterliche Kampf, Mann gegen Mann, ausgedient.
Der Sprengstoff kennt keine Gefangenen, keine Knechtschaft und keinen Akt der Barmherzigkeit. Er kennt häufig nicht einmal den schnellen und schmerzlosen Tod, wenn er seinen Opfern Gliedmaßen vom Körper trennt, die Bauchdecke aufreißt oder die inneren Organe zertrümmert. Diese Opfer verbluten langsam, während sie auf ihre dampfenden Organe und zerfledderten Extremitäten schauen müssen.
Im Zeitalter des Sprengstoffes und seiner Trägersysteme einen ehrenhaften Krieg zu führen, ist schwer, ja sogar schier unmöglich geworden. Was also kann der Krieger im Namen Allahs tun, um auch heute (wieder) durch seine Ritterlichkeit hervorzustechen? Ich vermag es nicht zu sagen. Aber eines weiß ich, er muss wenigstens danach streben, die aufrichtige Absicht pflegen, ein ehrenhafter und wahrlich ritterlicher Krieger zu sein, der, wenn er schlachtet, es schnell und sanft tut, und sich auch die Option offen hält, durch Barmherzigkeit zu glänzen.
Wa Allahu ‘alem