Dieser Beitrag erschien zuerst auf ahlu-sunnah.com.
von Yahya ibn Rainer
Titel: Lust & Gunst / Band 1
Subtitel: Sex und Erotik bei den muslimischen Gelehrten
Autor: Ali Ghandour
Verlag: Editio Gryphus, Hamburg © 2015
Umfang: Taschenuch, 103 Seiten
Es gab zwei hauptsächliche Gründe, mir dieses Buch anzuschaffen. Der erste Grund war natürlich das Thema, welches m. E. sehr wichtig ist und leider (häufig aus falscher Scham und Prüderie) viel zu selten aufgegriffen wird. Der zweite Grund jedoch war der Autor.
Der gebürtige Marokkaner Ali Ghandour ist einigen Muslimen in Deutschland sicherlich ein Begriff, vor allem unter seiner Kunya Abu Bilal al-Maliki. Schon seit einigen Jahren macht er sich einen Ruf als Kämpfer gegen muslimische Strömungen, die hierzulande unter den Namen „Wahhabismus“ und „Salafismus“ bekannt sind. Er selbst folgt nach eigenen Aussagen der malikitischen Rechtsschule, ist Anhänger der ascharitischen Glaubenlehre und ein glühender Verteidiger des Tasawwuf (Sufismus) und seiner teils speziellen Konzepte.
Ich wurde etwa 2008 auf ihn aufmerksam, als er noch kleinere und größere Debatten in Internetforen mit Kritikern des Sufismus, des Taqlid (blinden Folgens) und der Aschari-‚Aqidah absolvierte. Nebenbei betrieb er Blogs mit Namen wie „Wahabi Watch“ oder „Sunnanet“, um die Glaubenslehre und -methodologie der sogenannten „Salafisten/Wahhabiten“ zu widerlegen und diverse Praktiken und Lehren des Sufismus zu verteidigen.
Ab 2011 wurden die direkten Konfrontationen und Debatten im Internet immer weniger. Stattdessen hatte A. Ghandour scheinbar die wahre Schwachstelle seiner Kontrahenten gefunden. Anstatt sich weiterhin in langen und sicherlich auch ermüdenden Diskussionen zu ergehen, die zudem nicht selten auch zu seinen Ungunsten ausgingen, beschränkte er sich nun auf die Provokation. Indem er sich über sie lustig machte (z.B. mit Museltoonz) und sein Auftreten im Netz besonders grenzwertig gestaltete (durch Sondermeinungen, gewagte Outfits und elektronische Musikproduktionen), schaffte er es, die Gemüter einiger Jungsalafiten zu erhitzen und die daraus resultierenden Kommentare für sich sprechen zu lassen.
Auch dieses Buch, da war ich mir sicher, sollte solch eine Provokation darstellen und das gewählte Thema passte dazu wie Faust auf Auge. Doch A. Ghandour ist heute kein normaler Internetaktivist und Hobbydebattant mehr, sondern promoviert mittlerweile am ZIT Münster im Fach Islamische Theologie. Und da man als angehender Doktor und Wissenschaftler einen gewissen akademischen Ruf hat und einem wissenschaftlichen Ethos unterliegt, erhoffte ich mir aus der Lektüre durchaus mehr, als nur eine provokante Kampfpostille.
Schon der erste Satz des Buches – ein Zitat aus Al-Wisah fi-Fawa’id an-Nikah von Imam as-Suyuti – hat mich dermaßen vom Hocker gehauen, dass ich mich geradezu genötigt sah dieses auf Twitter kundzutun. Das Zitat selbst allerdings wagte ich nicht zu twittern. So erging es mir auch im weiteren Verlauf der Lektüre, obwohl ich auf Blog, Facebook und Twitter für gewöhnlich recht oft aus den Büchern zitiere die ich gerade lese.
Da ich also ein öffentliches Posting des Zitats nicht wagte, bot ich für meine (männlichen) Freunde auf Facebook an, diesen ersten Satz des Buches als PN zu verschicken, an jeden, der mich darum bittet. Im Nachhinein wünschte ich, dieses Angebot niemals gemacht zu haben, denn ich verbrachte Stunden damit den massenhaften Anfragen gerecht zu werden.
Dieses gewaltige Interesse an einem einzigen Satz aus Gelehrtenmund, und das nur, weil er inhaltlich die sexuellen Attribute der Frau thematisiert, war eindrucksvoll und bestätigte in gewisser Weise meine Meinung, es hier mit einem äußerst wichtigen Thema zu tun zu haben. Gekrönt wurde dieser Eindruck zusätzlich noch von einem amtlichen Facebook-Shitstorm, der vonseiten junger muslimischer Frauen auf mich und mein (nur an Männer gerichtetes) Unterfangen hereinprasselte.
Dieses Buch von A. Ghandour soll nicht nur ein Buch über Sex und Erotik bei den muslimischen Gelehrten sein, sondern auch „ein Spiegel, welcher uns den drastischen Wandel des Religionsverständnisses in den letzten 200 Jahren aufzeigt“. Somit ist es auch ein muslimisch-gesellschaftliches Buch, und so sehr man den Autor wegen seiner religiösen Ansichten oder gezielten Provokationen auch ablehnen mag, wer dieses Buch objektiv und mit Bedacht liest, wird nicht umhin kommen, den Nutzen der Lektüre einzugestehen.
Der Sex ist nicht nur ein (von Allah) natürlich in uns angelegtes dringendes Bedürfnis, sondern auch eine unbedingte Notwendigkeit zur Fortpflanzung und (somit) zum Erhalt der Spezies Mensch. Dass er im Islam zusätzlich noch als Gottesdienst gilt, wenn er im rechtlich erlaubten Rahmen und mit passender Absicht vollzogen wird, macht ihn zusätzlich zu etwas sehr vorzüglichem.
Bei all dieser Dringlich-, Notwendig- und Vorzüglichkeit wäre es doch eine feine Sache, wenn er obendrein noch Spaß machen würde. Wollen wir ihn also überdies noch anregend, sinnlich, zärtlich und lustig gestalten, dann kommen wir zur Erotik. A. Ghandour weiß in seinem Buch zu berichten, dass sich in der hoheitlichen und hochoffiziellen osmanischen-kaiserlichen Enzyklopädie der Wissenschaften (Miftah al-Sa’ada) des Imam Ahmad Taşköprülüzade (1494-1561) folgende 3 Einträge zu Wissenschaftszweigen fanden:
- ‚Ilm Adab an-Nikah (Die Lehre der ehelichen Ethik)
- ‚Ilm al-Bah (Die Lehre des Sexes)
- ‚Ilm al-Gung (Die Lehre der Erotik)
Unter dem 1. Eintrag (Die Lehre der ehelichen Ethik) geht es um die rechtlichen und ethischen Aspekte der Ehe und um das eheliche Zusammenleben, wozu auch der Sex gehört.
Zum 2. Eintrag (Die Lehre des Sexes) zitiert A. Ghandour den Enzyklopädisten …
»Es ist die Lehre, die als Thema die Präparate und Nahrungen hat, die die Stärkung der sexuellen Kraft fördern, die die Lust steigern, die den Penis vergrößern oder die Vagina verengen. […] (Es ist auch eine Lehre), die sich mit den Sexstellungen und den Gepflogenheiten des sexuellen Aktes beschäftigt. […] Sie (die Autoren in diesem Bereich) erwähnen auch erotische Geschichten, die die Lust erregen.«
(Tasköpruzade, Ahmad: Miftah as-Sa’ada, Beirut: Dar al-Kutub al-‚Ilmiyya 1985, Bd. I: S. 326 f.)
… ebenso, wie zum 3. Eintrag (Die Lehre der Erotik):
»Es ist die Lehre bezüglich der Art der (verführerischen) Handlungen, die von den jungen Frauen und schönen Damen ausgehen. […] Wenn die Schönheit wesentlich ist und die Verspieltheit natürlich ist, dann gilt dies als Perfektion, ist aber die Verspieltheit unnatürlich, dann ist dies eine Stufe unter dem ersten Fall, jedoch alles, was von dem Schönen ausgeht, ist schön. […]
Diese Verspieltheit, wenn sie während des Aktes und während des Küssens und Ähnlichem stattfindet, fördert die sexuelle Kraft. […] Die Verspieltheit ist in der Scharia erlaubt und sie ist an den Frauen in diesem Fall (während des sexuellen Akt) gelobt und sie (die Frau) könnte dafür (von Gott) im Fall des erlaubten Beischlafs belohnt werden.«
(Tasköpruzade, Ahmad: Miftah as-Sa’ada, Beirut: Dar al-Kutub al-‚Ilmiyya 1985, Bd. I: S. 377)
Natürlich lässt es sich A. Ghandour nicht nehmen, auch die unangenehmen Seiten der muslimisch-literarischen Freizügigkeit mit seinen Lesern zu teilen. So müssen wir lesen, dass nicht nur muslimische Dichter und Literaten, sondern auch anerkannte Gelehrte mitunter Geschichten und Anekdoten niederschrieben, die unzüchtige, lesbische und homosexuelle Handlungsstränge aufwiesen. Und auch zum Thema Knabenliebe wird man einige Auszüge im Buch finden.
Diese Exkursionen in die sexuellen Sphären der muslimischen Geschichte schockieren teils zu Recht (vor allem beim Thema Knabenliebe), zeigen aber eine Realität, die zu verschweigen einer Leugnung gleich kommen würde. Aber vor allem wird auch deutlich, dass die Themen Sex und Erotik heute unter den meisten Muslimen mit viel mehr Scham aufgefasst werden, als es früher der Fall war. A. Ghandour vertritt die These, dass diese Auffassung zum Thema Sex einen starken Einfluss der „viktorianischen Prüderie“ aufweist, also quasi eine christlich-abendländischen Hinterlassenschaft ist, die sich die Muslime während der Zeit der Kolonisierung zu eigen machten. So schreibt er:
«Sex wurde im Islam – im Gegensatz zum Christentum – gerade nicht als etwas sündhaftes und Niedriges betrachtet, welches es zu vermeiden gilt.»
Ungewohnt – zumindest für den gewöhnlichen muslimischen Leser – wird auch die Offenheit des Buches sein, Meinungsverschiedenheiten und Sondermeinungen zu sexuellen Handlungen zu liefern, die man zuvor eigentlich als klar verboten erachtet hatte. So erfährt man, dass einige Gelehrte die Selbstbefriedigung der Frau (mit geeigneten Gegenständen) ebenso erlaubten, wie den ehelichen Analverkehr. Speziell letzteres könnte den Leser in Konfusion stürzen und im Verein mit der Tatsache, dass muslimische Gelehrte Anekdoten von Prostituierten, Homosexuellen und sonstigen Unzüchtigen verfassten (und dies auch als erlaubt erachteten), könnte man geneigt sein, das Buch als eine Gefahr darzustellen.
Tatsächlich aber ist A. Ghandours Untersuchung kein Rechtsbuch oder -ratgeber, sondern will lediglich eine historische Realität darstellen. Bereits in der Einleitung macht der Autor auf diesen Umstand aufmerksam:
«Die Untersuchungen in der vorliegenden Arbeit haben keinen theologisch-normativen Charakter. Es geht hier also nicht um die Bewertung der unterschiedlichen Praktiken, sondern eher um die Darstellung des Umgangs muslimischer Gelehrter mit dem Thema allgemein.»
Dies muss man sich während der Lektüre ständig vergegenwärtigen, denn ansonsten könnte man durchaus falsche Resultate aus dem Inhalt des Buches ziehen. Ich zumindest habe das kleine Taschenbuch (103 Seiten) genossen und lange noch meinen Spaß daran gehabt. Und da es sich anscheinend um eine Buchreihe handelt (Band 1), werden wir wohl auch in Zukunft noch so einiges Verruchtes und Verwirrendes aus dieser Richtung vernehmen können.
Von Salim bin ‘Abdillah, der von Seinem Vater: Dass der Gesandte Allah’s, sallallahu alayhi wa sallam, einst an einem Mann der Ansar vorbei kam, als dieser seinen Bruder bezüglich der Schamhaftigkeit ermahnte. Da sprach der Gesandte Allah’s, sallallahu alayhi wa sallam, zu ihm: “Lass ihn, denn Schamhaftigkeit (al-Haya’) ist vom Iman.
So viel zu viktorianischem Einfluss.
Und ein durchschnittlicher schamhafter Mensch wird weder so ein Buch verfassen, noch lesen und schon gar nicht offen über seine Inhalte reden.
Oder wir haben alle wieder einmal ein falsches Verständnis vom Begriff, diesmal der Schamhaftigkeitsbegriff.
Natürlich stellt sich die Frage nach dem Verständnis des arabischen Wortes al-Haya‘. Ist die Übertragung in die deutsche Sprache mit dem deutschen Wort „Schamhaftigkeit“ im vollem Umfang gelungen oder müssen wir auch hier der vollkommen andersartigen Etymologie Rechnung tragen und uns bei der Erklärung des Begriffes an die Gelehrten wenden, die die arabische Sprache (im Usul) beherrschen?
Allein in diesem kleinen Taschenbuch werden zahlreiche bekannte und anerkannte Gelehrte genannt, die Hadithe, Anekdoten und Ansichten zu Papier brachten, die wir heutzutage zumindest als fragwürdig einstufen würden. Unter diesen Gelehrten befinden sich Namen wie …
… Imam Ǧalāl ad-Dīn as-Suyūṭī (der zahlreiche Werke geschrieben hat, die direkt oder indirekt sexuellen oder erotischen Themen gewidmet waren – 10 davon werden namentlich bei A. Ghandour erwähnt -, darunter „Nawadir al-Ayk fi-Ma’rifat an-Nayk“ [Über den Sex], in dem er 140 Sexpositionen nennt … mehr als das indische Kama Sutra)
… Imam Ibn Qaiyyim al-Ǧauziya (der u.a. über die Schönheit „der Enge“ einiger weiblicher Körperteile schreibt)
… Imam Raghib Isfahani
… Al-Hafiz Muhammad ibn Ja’far al-Khara’iti
uvm.
Und darüber hinaus gibt es natürlich noch zahlreiche Gelehrte die A. Ghandour nicht in seinem Buch nennt, die aber bekannt dafür waren „erotische Anekdoten“ (auch mit unzüchtigem Inhalt) zu verfassen. Wie Imam ibn Hazm in seinem „ṭauq al-ḥamāma fī l-ulfa wa-l-ullāf“ (Das Halsband der Taube) und in anderen Werken.
A. Ghandour nennt in seinem Buch zahlreiche Beispiele, bewertet sie aber nicht. Die Beispiele allerdings stammen allesamt aus der Feder von Gelehrten, die der arabischen Sprache kundig waren und den Hadith bezüglich der „Schamhaftigkeit“ aller Voraussicht nach kannten. Er stellt zu Recht die Frage, ob wir diese zahlreichen Gelehrten nun tatsächlich als schamlos bezeichnen wollen, oder ob unser Begriff der Schamhaftigkeit einfach nicht auf den Begriff al-Haya‘ passt.
As-Salamu ‚alaikum wa Rahmatullahi wa Barakatuhu!.
Herr Bruder Ranft was halten sie eigentlich vom Buch von dem Ehrenwerten Gelehrten Imam Al ghazali mit dem titel:Das Buch der Ehe.
Oder das Buch:Ehe und Sexualität im Islam von Asim Uysal.
Möge Allah sie reichlich Belohnen.
Ich weiß, dass der Prophet sas einmal einen Mann fragte, wieso er keine junge Frau geheiratet hat und stattdessen eine alte.
Denn sonst hätte er mit ihr “spielen“ können und sie mit ihm.
Weiter ist unser Prophet sav. meines Wissens nach nie gegangen und es erscheint mir unvorstellbar, dass dieser jemals, zumal öffentlich, darüber gesprochen hat, wie wunderbar doch dieser und jener Teil einer Frau ist.
Er vermied sogar die Bezeichnung des männlichen Geschlechtsorgans und redete stattdessen von dem, “was zwischen den Beinen ist“.
Übrigens kenne ich keine Ayat oder einen Hadith Qudsi, wo Allah explizit von Geschlechtsteilen spricht… Auch hier immer Umschreibungen.
Und zu den Gelehrten: Man dürfte zu jedem aufgeführten Gelehrten dutzende finden, die Gegenteiliges sagen.
Und außerdem ist bekannt, dass innerhalb weniger Generationen ein kompletter Ab- und Aufstieg möglich ist, was Moral, Anstand etc. angeht.
Gut möglich, dass in der Zeit von Suyuti etc. die Menschen weiter vom Ideal in diesen Angelegenheiten entfernt waren als wir.
Auch der umgekehrte Fall ist möglich.
Aber die Beweislage in den islamischen Quellen lässt praktisch keinen Raum für zumindest öffentlichen Austausch dieses Themas.
Solange das ganze, dezent, in Büchern geschrieben wird, sieht alles anders aus.
Denn auch hier im Westen redet niemand öffentlich über das Kamasutra etc., aber daheim im Buch lesen erscheint den meisten dann akzeptabel.
Auch wirkt es doch verstörend, erst von Keuschheit und seinem Wert zu reden, über die Verwahrlosung der Kuffar.
Nur um so dann zu sagen, wie großartig doch der weibliche Hintern ist und ob man schon Position 23 aus Suyutis Buch kenne.
Und dann hat man natürlich entsprechende Bilder vor Augen und denkt dann an die Frau des Akhis, der das Thema angesprochen hat… Furchtbar