von Yahya ibn Rainer
Der vorherige 1. Teil dieser Reihe endete mit der Auflistung einiger bekannter Deutschen Tugenden, die auch (und besonders) als Preußische Tugenden bekannt wurden, sowie mit der Ankündigung, zur näheren Beleuchtung der Übereinstimmungen mit dem Islamischem Akhlaq (Charakter) das Buch Über den Umgang mit Menschen von Adolph Freiherr von Knigge zu bemühen. Zuvor möchte ich aber noch 2 Fakten einschieben, die für diesen Sachverhalt von Interesse sein könnten.
Als erstes möchte ich auf ein Buch hinweisen, dass seit 2002 im Buchhandel erhältlich ist. Es heißt Türken in Berlin 1871 – 1945 und behandelt diverse Reiseberichte von Türken, die im Zeitraum von 1871 – 1945 die deutsche Hauptstadt Berlin bereisten und teilweise auch für längere Zeit dort verweilten. Ich selbst habe mir das Buch noch nicht zugelegt, habe es aber auf jeden Fall vor. Dank Google books hatte ich jedoch bereits die Möglichkeit ein wenig in diesem Buche zu schmökern (>>). Resultat dieser „Probelesung“ sind 3 Zitate, die ich im April und Mai dieses Jahres im Blog verewigt habe (hier>> , hier>> und hier>>). Jeder Türke, der sich heutzutage in Berlin aufhält wird wohl nur schwerlich solch lobende Worte für den gemeinen Deutschen finden … zu Recht. Wir wollen aber, der Gerechtigkeit zuliebe, auch festhalten, dass ebenfalls der gemeine Türke im heutigen Berlin nicht annähernd die Sitte und Moral aufbringt, die seine osmanischen Vorfahren zu damaligen Zeiten für angebracht hielten.
Dann möchte ich noch einmal auf die Quelle eingehen, die im Usul al-Fiqh (Wissenschaft zur Herleitung islamischer Urteile) als ‚Urf (Gewohnheitsrecht) bezeichnet wird. In einer Zeit, in der viele nur noch von Quran und Sunnah sprechen, wird diese Quelle (wie auch andere Quellen in Usul al-Fiqh) gern vernachlässigt oder findet garkeine Erwähnung mehr. Einer der Gründe hierfür ist sicherlich auch dem Umstand geschuldet, dass die großen Gelehrten des Fiqh hierzu verschiedene Ansichten pflegten. Speziell in den Gebieten des arabischen Kulturbereiches fand dieses Gewohnheitsrecht nur wenig Anwendung, sodass die Gelehrten, die hier ihre Lehrtätigkeit ausübten, dieser Quelle kein allzu großes Gewicht beigemessen haben. Anders war das freilich in den Gebieten, die von anderen Völkern besiedelt waren.
Das Buch Methodenlehre der Ermittlung islamischer Bestimmungen aus Koran und Sunna (Usul al-Fiqh, Maqasid asch-scharia und al-Qawa’id al-Fiqhijja), vom Deutschen Informationsdienst über den Islam e.V. (DIdI e.V.), widmet diesem Thema zwei Abschnitte. Unter dem Kapitel Quellenlehre der islamischen Bestimmungen gibt es eine kurze Definition des Begriffes ‚Urf:
Gewohnheitsrecht (arab. ‚urf): Handlungen, die nicht gegen das islamische Recht verstoßen und die von Personen, die über einen gesunden Menschenverstand verfügen, als lobenswert aufgefasst werden.
Und im Kapitel Grundprinzipien der islamischen Bestimmungen wird dieses Grundprinzip kurz vorgestellt und mit Quellen belegt:
Das vierte Grundprinzip: Gewohnheitsrecht gilt, solange keine anderen Schariaregeln verletzt werden
Vorstellung des Grundprinzips
„Die Sitten und Gebräuche haben im Sinne des islamischen Rechts insofern rechtliche Gültigkeit, dass die islamischen Bestimmungen hierdurch festgelegt werden, solange es keinen Offenbarungstext gibt, der dem entsprechenden Brauch widerspricht.“Die Sitten und Gebräuche, die es in einem Volk gibt, und die nicht dem Islam widersprechen, haben einen großen Einfluss auf die rechtlichen Bestimmungen des Islam. Die Rechtsgelehrten sagen:
„Wenn man den Menschen ihre Sitten und Gebräuche nehmen will, so ist dies mit großen Schwierigkeiten verbunden, weil diese Sitten und Gebräuche stark in den Köpfen der Menschen verankert sind.“Die Belege für die Gültigkeit dieses Grundprinzips
1. Die Aussage von Ibn Mas’ud: „Was die Muslime als gut ansehen, das ist auch bei Allah gut. Und was die Muslime als schlecht ansehen, das ist bei Allah schlecht.“
2. Allah hat gesagt: „Übe Nachsicht und gebiete entsprechend der Gewohnheit (arab. wa’mur bil ‚urfi ) und wende dich ab von den Unwissenden.“[7:199]
3. Buchari und Muslim berichten, dass Aischa (r.) sagte: „Hind bint Utba sagte: „O Gesandter Allahs, (mein Ehemann) Abu Sufjan ist ein geiziger Mann und er gibt mir und meinem Kind nicht genügend Geld, so dass es nur dann genug ist, wenn ich ohne sein Wissen etwas von ihm nehme. Da sagte der Prophet (s.a.s.): „Nimm soviel entsprechend dem, was üblich ist (oder: im Guten, arab. bil-ma’ruf), so dass es dir und deinem Kind genügt“.
An-Nawawi sagt in seinen Erläuterungen zu Sahih Muslim zu diesem Hadith: „Aus diesem Hadith kann man u.a. ableiten, dass man auf das Gewohnheitsrecht (arab. ‚urf) zurückgreift in Dingen, wo es in der Scharia keine genaue Festlegung gibt.“4. Der Prophet (s.a.s.) hat in vielen Dingen die Menschen einfach in ihren Sitten und Gebräuchen belassen. Dies war dann, wenn diese Sitten und Gebräuche kein Übel darstellten und es somit nicht durch die Scharia beseitigt werden musste.