„Früher einmal war die Bildungslage eine ganz andere. Da gab es sehr breite, wirklich analphabetische Massen, eine recht dünne Mittelschicht und oben eine kleine, hochgebildete Minderheit. (Daher auch der spanische Ausdruck las memorías für elitäre „Hochgruppen“.) Heute haben wir eine gewaltige Schicht aus Viertel-, Halb- und Dreiviertelgebildeten, an die sich nicht nur die Massenmedien, sondern auch die Fach- und Romanliteratur richtet.
Dieser Sachverhalt hat auch wirtschaftliche Gründe, denn ein Buch mit einer Auflage von 400 Stück wird heute nicht mehr gedruckt – außer zu horrenden Preisen oder mit Subventionen. Finanziell ist das anders nicht möglich.
Nun aber ist gerade diese Mittelschicht gefährlich und gefährdet – nicht nur politisch, sondern auch religiös. Sie ging von der Ersten in die Zweite Aufklärung, sie „glaubt, dass sie weiß“. (Der Christ weiß, dass er glaube.) Sie wird ja auch von der Demokratie aufgefordert, Urteile zu fällen, Entscheidungen zu treffen, Stimmen abzugeben, bei Volksbefragungen mitzutun.
Und die Demokratie redet ihr zudem noch ein, dass Wissen und Nichtwissen politisch „gleichberechtigt“ sind. Für zahlreiche Betätigungen sind heute behördliche Befähigungsnachweise notwendig: Man kann weder in der Schule einem Sechsjährigen das Einmaleins beibringen, im Spital einen Kranken eine Injektion verabreichen, eine Apotheke an der Straßenecke in Betrieb nehmen oder gar ein Auto aus der Garage zum Bahnhof fahren, ohne durch Prüfungen und Dokumente „qualifiziert“ zu sein.
Doch zum Wählen oder Gewähltwerden genügt die Erfüllung rein vegetativer Bedingungen: Man muss vor so und so viel Jahren geboren und immer noch am Leben sein. Sonst nichts!
Das gilt eben genau so für die Wähler als auch für die Gewählten. Das Wissen und die Erfahrung, die Wahrheitsliebe und die charakterliche Standfestigkeit der meisten Volksvertreter ragt kaum über das Mittelmaß der Wähler hinaus. Man stelle sich vor, was geschehen würde, wenn Ärzte, Ingenieure, Piloten oder Lokomotivführer in ihrem Beruf nicht sachlich besser vorbereitet wären als der durchschnittliche Mandatar. Nun, ein Arzt, der nie Medizin studiert und sein Diplom durch Sonderbeziehungen oder durch Fälscher erhalten hatte, könnte in seiner illegalen Laufbahn doch einiges Unheil anrichten, ja auch Menschenleben gefährden und vielleicht ein Dutzend oder gar einige hundert Tote auf dem Gewissen haben. Doch ein Politiker, der weltweite Entscheidungen trifft, kann nicht nur hunderte oder tausende, sondern auch Millionen Todesfälle und namenloses Elend verursachen.“
(Erik von Kühnelt-Leddihn, Konservative Weltsicht als Chance – Entlarvung von Mythen und Klischees, Seite 21-23)