Warum Konvertiten den Islam wieder verlassen (Teil 2)

Ich habe vor einigen Jahren mal etwas sehr dummes gemacht. In meiner Moschee konvertierte damals ein junger Mann zum Islam und ich wollte, dass er nach dem Ritus (dem Rezitieren des Glaubensbekenntnisses) jemanden an der Seite hat, der ihn langsam in die praktische Welt des Islams einführt. Das Dumme an diesem Vorhaben meinerseits war, dass der junge Mann schwarz war und aus einem afrikanischen Land stammte. Also wandte ich mich mit der Bitte um Begleitung für den neuen Muslim an einen schwarzen Moscheebesucher, der meiner Ansicht nach auch aus Afrika stammen müsse.

Als ich den Bruder also ansprach, schaute er mich irritiert an und fragte: „Warum denn ausgerechnet ich?“. Ich versuchte zu antworten „Weil …“ und er unterbrach mich „ … ich schwarz bin?“ „Ja“, sagte ich ganz unbefangen und wunderte mich, warum der Bruder so empfindlich darauf reagierte.

Dann sagte er zu mir (sinngemäß)„Da lehrt uns der Islam, dass wir alle gleich sind, es keine Unterschiede zwischen uns aufgrund der Hautfarbe gibt, und du wählst mich aus allen (mehrheitlich Nichtschwarzen) hier in der Moschee aus, obwohl wir uns gar nicht richtig kennen, wir uns noch nie wirklich miteinander unterhalten haben und es hier in der Moschee zahlreiche Brüder gibt die du besser kennst und die aufgrund ihrer Charaktereigenschaften und ihres Wissen großartige Begleiter wären, nur weil ich schwarz bin?“

Und Recht hatte er. Dass beide anscheinend Wurzeln in Afrika hatten, machte sie nicht zu Menschen die sich besser verstehen, immerhin gibt es in Afrika 2.138 afrikanische Sprachen und Idiome. Es geht im Islam immer um die Eignung und die Hautfarbe ist kein Teil selbiger. Der Konvertit sprach ungebrochen deutsch und ihn NICHT zu separieren, vor allem nicht aufgrund seiner Hautfarbe, ist der einzig richtige Eingang in die muslimische Gemeinde.

Warum erzähle ich von diesem Ereignis? Naja, uns, als deutschen/weißen Islamkonvertiten passieren solche Sachen nämlich auch nicht selten. Speziell solche Moscheegemeinden die weniger Erfahrungen mit Konversionen haben, reagieren äußerst unsicher und da heißt es gern einmal; „Sag mal, du bist doch auch Deutscher, kannst du dich mal um deinen Bruder kümmern?“

Mir ist das schon einige Male passiert, und zähneknirschend nimmt man dem unzureichend deutsch sprechenden Imam und den total verunsicherten Gemeindemitgliedern die Arbeit ab. Wie fundamental wichtig und zeitintensiv eine solche Begleitung sein kann, ist den meisten Gemeinden aber anscheinend nicht bewusst. Und so halst man dem weißen Islamkonvertiten die Arbeit und Verantwortung auf. Alleingelassen damit, kann das durchaus überfordern, aber das erhebende Gefühl für die Gemeinde auf einmal nützlich zu sein, lässt nur wenige diese Bitte kategorisch ablehnen.

Überforderung ist jedoch auch einer der Gründe, warum viele Konvertiten den Islam nach einiger Zeit wieder verlassen, begleitet von dem Umstand, dass man als weißer Konvertit gern separiert wird, nämlich zu den anderen weißen Konvertiten, obwohl doch gerade der Konvertit (ohne familiäre Bindungen in muslimische Milieus, z.B. durch Heirat) eine Einbindung in die Gemeinde braucht, weil er (besonders auch zu den muslimischen Festtagen) sehr vereinsamt.

Bei mir ist es so, dass ich direkt einige Monate nach meiner Konversion schon meine zukünftige nichtweiße Ehefrau kennenlernen durfte, also recht schnell in muslimische Familienverhältnisse einheiraten konnte. Ich kenne aber zahlreiche weiße Konvertiten, die über die Festtage allein sind, einsamer als den Rest des Jahres, obwohl es doch anders sein sollte. Auch diese Einsamkeit hat einen Niederschlag auf den Glauben und kann im Nachhinein einer der Faktoren sein, der einen Austritt aus dem Islam befördert.

Ein weiterer Unterschied zwischen mir und vielen anderen weißen Konvertiten ist vermutlich die Tatsache, dass ich weiße Frischkonvertiten nicht leiden kann. Ja, klingt böse, das ist mir bewusst, und ich habe auch lange darüber grübeln müssen, weshalb ich diese Abneigung gegen frisch konvertierte Neulinge habe. Vermutlich liegt es an meiner salafitischen Sozialisation, denn in keiner muslimischen Gemeinde Deutschlands gab und gibt es meiner Anschau nach mehr Konversionen zum Islam als in salafitischen Gemeinden, was wohl daran liegt, dass Salafiten die Mission (Dawa) als große Pflicht auffassen und auf diesem Gebiet in social media mit Abstand die Erfahrendsten und Akivsten sind. Allerdings, so ehrlich muss ich sein, sind mir auch die meisten Fälle von Austritten oder extremen Distanzierungen aus diesem Milieu bekannt.

Wie kommt es also nun, dass ich, als weißer Islamkonvertit, der selbst einmal ein Frischling war, so eine ausgeprägte Abneigung gegen weiße Frischkonvertiten hat? Das ist schwer zu beantworten. Ich schaue mir die Konvertiten an und denke „Das ist doch Schauspielerei, diese Betroffenheit, diese Tränen, wie er sich dabei filmen und fotografieren lässt, ganz bewusst.“

„Das sind fiese Einflüsterungen des Satans“, würden einige meiner Glaubensgenossen jetzt sagen, „da musst du dringend dran arbeiten.“ Und ganz Unrecht haben sie vielleicht nicht. Das Erste, was man in solchen Fällen tun muss, ist aufrichtig über sich zu reflektieren, man muss in sich gehen und sich selbst entlarven.

Wenn jemand kategorisch schlecht von anderen denkt; von anderen allerdings, die einem selbst in vielerlei Hinsicht gleichen (weiß/deutsch/Islamkonvertit usw.), dann spricht man in der Psychologie (und auch in der Psychoanalyse) von Projektion; nicht kategorisch, aber es ist ein gewichtige Option in der Analyse. Es handelt sich bei der Projektion um einen Mechanismus des menschlichen Geistes, eigene Unzulänglichkeiten (unerwünschte Triebe, Wünsche, Gefühle oder schlechte Absichten) zu unterdrücken und dann auf andere (einem ähnliche Personen) zu projizieren. Dies würde in meinem Fall allerdings bedeuten, dass meine Absichten zur Zeit meiner Konversion nicht aufrichtig waren, ich Aufmerksamkeit suchte und mich in Selbstdarstellung erging. Das ist wirklich schwer zu ertragen und hat mich tatsächlich auch belastet, aber Projektion ist halt auch nicht immer der Grund für solche schlechten Ahnungen seinen Mitmenschen gegenüber.

Fakt ist, dass ich nicht nur die Konversionen vieler Menschen miterleben durfte, sondern auch ihre Werdegänge und wie sie sich (oft bereits kurz nach der Konversion) in theologischen Streits, Verunglimpfungen anderer Muslime und politischen/religiösen Extremismus ergingen. Und auch solche habe ich erleben dürfen, die nur wenige Tage im Islam blieben, um dann öffentlich ihren Austritt zu erklären und in social media mit total überzogenen oder erlogenen Innenansichten Likes aus islamfeindlichen Milieu zu generieren.

Wenn es etwas gibt, was man über nicht wenige weiße Konvertiten sagen kann, dann ist es ihre verbissene Gewissheit immer auf der absoluten Wahrheit zu sein, übrigens auch wenn sie im Laufe der Zeit ihre Ansichten ändern, die absolute Wahrheit des Islams ist immer der Begleiter auf ihrem Weg, und jeder der nicht die eigenen Ansichten teilt, ist unislamisch, kein echter Muslim oder gar ein Abtrünniger, auch wenn er eine 30-fache Lebenserfahrung als Muslim hinter sich hat.

So isolieren nicht wenige Islamkonvertiten sich selbst von der muslimischen Gemeinde oder suchen Anschluss an kleinste Sekten, die nicht ohne Grund nur vereinzelt Anhänger finden. Sie werden beispielsweise öffentliche Protagonisten und willige Schlächter eines angeblich islamischen Staates und prägen auf diese Weise auch ein Bild vom weißen Konvertiten, das bei der erschreckenden Einprägsamkeit der Bilder aus der ganzen Welt leider nicht zur Anerkennung weißer Muslime in PoC-Moscheegemeinden beiträgt.

Ich werde diese Reihe weiterführen … so Gott will.

Postscriptum: Mir ist bewusst, dass die Benutzung von Begriffen wie schwarz, PoC und weiß durchaus triggern können, vor allem aus dem Grund, den ich oben bereits erwähnte, nämlich dass wir im Islam eigentlich KEINE Unterschiede dieser Art machen sollten. Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass der Kontext, in dem ich die Begriffe verwende, NICHT auf die Religion bezogen sind, sondern auf das soziale Gebaren der Menschen in unserer heutigen Gesellschaft. Dieses soziale Gebaren finden wir in muslimischen Gemeinden ebenso wie in nichtmuslimischen, denn sie sind gesellschaftlich verfestigt. Wenn ich, als weißer Muslim, über bestimmte Mindsets oder Verhaltensweisen weißer Muslime schreibe, dann heißt das NICHT, dass nicht auch Schwarze oder PoC in diese Mindsets/Verhaltensweisen fallen können; genauso wenig wie es zwingend bedeuten muss, dass ALLE Weißen diese Mindsets/Verhaltensweisen aufweisen.

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Über Jens Yahya Ranft

Jens Yahya Ranft, Jahrgang 1975, verheiratet, 3 Kinder, Geschäftsführer und Prokurist in einem kleinen deutsch-arabischen Unternehmen. Urheber dieses Blogs. Liest und publiziert vor allem in den Bereichen Staats- und Religionsgeschichte, (Sozio-)Ökonomie, politische Philosophie und Soziologie.

4 Gedanken zu „Warum Konvertiten den Islam wieder verlassen (Teil 2)

  1. Assalamu alaikum. Wieder ein wunderbarer Artikel!
    Zu dem Punkt „Abneigung“ gegen neue Konvertiten: meiner Erfahrung nach ist man oft euphorisch, endlich den Weg fürs Leben gefunden zu haben. Erfüllt zum ersten Mal mit einem Gefühl der Zugehörigkeit aber auch der Angst, einen Fehler vor Allah zu machen, sodas man ins Extrem verfällt. Auch ich habe nach meiner Shahada alle CDs weggeschmissen (Musik ist Haram), Bücher weggegeben (hab irgendwo gelesen, das Dichtung von Shaitan sei), Fernseher in den Keller gebracht und natürlich meine Comicsammlung in die Mülltonne gegeben. 10 Jahre später sehe ich das alles viel nouancierter, kenne mehr Auslegungen und Meinungen und nehme nicht immer die strengste Auslegung als Richtlinie. Aber auch das ist ein Prozess, und ältere Muslime können da mit etwas Nachsicht & Geduld den neuen Geschwistern die Umstellung und den Umgang mit Freunden und Verwandten erleichtern.

  2. Assalamu alaikum wa rahmatullah, seit Jahren verfolge ich deine interessanten Beiträge. Heute ist es das erste mal das ich mich berufen fühle einen Beitrag zu kommentieren.Ich selbst bin auch ein Renegat :-). Vor etwas über zehn Jahren habe ich den Islam angenommen und habe seitdem auch schon andere deutsche Konvertiten kennen gelernt. Konvertieren heisst ja umwandeln, und diese Umwandlung ist kein Prozess von heute auf morgen. Einige scheinen zu denken das mit dem aussprechen der Shahada sich alles von selbst erledigt und haben daher keine Geduld auf dem Weg.
    Du erwähnst im Artikel das du Neubekehrte nicht leiden kannst. Das finde ich sehr interessant. Ich wurde von einem Bruder mit anderen Konvertiten bekannt gemacht.
    Die Idee war das wir unseren eigenen deutschen Zirkel bilden. Jedenfalls haben wir uns nicht öfter als fünfmal getroffen. Der Funke wollte anscheinend nicht über springen.

  3. Wow Herr Ranft,
    ich habe Sie vor ca. 8 Jahren einmal kennengelernt und habe ab und an in Ihre Beiträge geschaut und ich bin überhaus glücklich zu sehen, wie extrem ehrlich und reflektiert Sie schreiben. Ich habe ähnliche Entwicklungen durchgemacht. Ihre beiden Texte zu diesem Thema habe ich sehr genossen, danke sehr.

  4. @
    „Wenn es etwas gibt, was man über nicht wenige weiße Konvertiten sagen kann, dann ist es ihre verbissene Gewissheit immer auf der absoluten Wahrheit zu sein, übrigens auch wenn sie im Laufe der Zeit ihre Ansichten ändern, die absolute Wahrheit des Islams ist immer der Begleiter auf ihrem Weg, und jeder der nicht die eigenen Ansichten teilt, ist unislamisch, “

    interessant, wer jedoch solche verhaltensweisen an tag legt, der leidet unter einem dachschaden bzw. der/dieselbige unterwiesen wurden, die gelehrten stets nach beweiß urteilten, bzw.ihre meinung abänderten, gleichgültig welche fehlerhaften ansichten
    sie in diesem moment vertraten. viele stadtmenschen leiden unter psychosen, auch als dachschaden bezeichnet. muß man leider in kauf nehmen, die zeiten sind so.

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