„Du musst nicht glauben, dass durch die Ungerechtigkeit (lediglich) das Vermögen oder der Besitz ohne Entschädigung und ohne Grund aus der Hand seines Besitzers genommen wird, wie das (allgemein) bekannt ist. Vielmehr ist die Ungerechtigkeit umfassender als das.
Jeder nämlich, der jemandes Besitz an sich nimmt, diesen zwingt, für sich zu arbeiten, eine ungerechte Forderung an ihn stellt oder ihm eine Pflicht auferlegt, die vom (Scharia-)Gesetz nicht auferlegt wird, der tut ihm Unrecht.
Die, welche ohne ein Anrecht darauf Gelder eintreiben, tun Unrecht; wer sich Übergriffe darauf (d.h. auf das Vermögen anderer) leistet, tut Unrecht; die es rauben, tun Unrecht; die den Menschen ihre Rechte verweigern, tun Unrecht; die sich ganz allgemein (fremde) Besitztümer aneignen, tun Unrecht.
Dadurch, dass (auf diese Weise) infolge allgemeiner Vermögensverluste die Kultur, die ihre Substanz ist, verwüstet wird, fallen die schlimmen Folgen davon alle auf die Dynastie zurück. Du musst wissen, dass es in der Absicht der Weisheit des (einzigen) Gesetzgebers liegt, Ungerechtigkeit zu verbieten und (folglich) den daraus erwachsenden Untergang und Zerfall der Kultur abzuwenden, die das Erlöschen der menschlichen Gattung ankündigen.
Es ist die allgemeine Weisheit, die das (Scharia-)Gesetz berücksichtigt in allen seinen fünf notwendigen Zielen: die Bewahrung der Religion, des Verstandes, der Seele, der Nachkommenschaft und des Besitzes.
Weil nun die Ungerechtigkeit, wie du gesehen hast, durch die Zerstörung der Kultur, zu der sie hinführt, das Erlöschen der Gattung ankündigt, ist ihr Verbot darin (d.h. im Gesetz) enthalten. Dass sie für verboten erklärt wird, ist bedeutsam, und der Hinweise darauf in Koran und Sunna gibt es viele, zahlreicher, als dass sie erfasst und aufgezählt werden können. […]
Zur Ungerechtigkeit ist jedoch nur derjenige imstande, über den niemand (anderes) Macht ausübt; sie kommt nur bei denen vor, die Macht und Herrschaft innehaben. So wird sie sehr missbilligt, und es gibt viele Drohungen gegen sie in der Hoffnung, dass (dadurch) derjenige, der dazu (d.h. zur Ungerechtigkeit) fähig ist, das Hindernis in sich selbst findet.
„Und dein HERR ist nicht ungerecht gegen seine Diener“ (41:46)“
(Ibn Khaldun, Die Muqaddima, neu übersetzt von Alma Giese, Seite 265-266)