„Trägt schon der heutige Unterricht der europäischen Literatur in vielen muslimischen Einrichtungen zur Entfremdung junger Muslime vom Islam bei, gilt dasselbe in noch weit größerem Ausmaß für die europäische Deutung der Weltgeschichte. In ihr kommt die alte Haltung „Römer gegen Barbaren“ sehr deutlich zur Geltung. Ohne es einzuräumen, will ihre Darstellung von Geschichte beweisen, dass die westliche Rasse und ihre Zivilisation allem überlegen ist, was in der Welt erzeugt wurde oder erzeugt werden kann; und daher gibt sie dem westlichen Streben nach Weltmacht eine Art moralische Rechtfertigung. Seit der Zeit der Römer sind die europäischen Nationen daran gewohnt, alle Unterschiede zwischen Ost und West aus der Perspektive einer europäischen „Norm“ zu betrachten. Ihre Beweisführung basiert auf der Annahme, die Entwicklung der Menschheit könne nur auf Grundlage der europäischen Kulturerfahrungen beurteilt werden. Folge ist notwendigerweise eine verzerrte Perspektive. Und je weiter sich die Bewertungsmaßstäbe von dem europäischen Blickwinkel entfernen, desto schwieriger wird es für die Europäer, die reale Erscheinung und Struktur der beobachteten historischen Objekte zu begreifen. […]
Es erscheint so, als sei die Welt allein um Europa und seiner Zivilisation willen erschaffen ; alle anderen Zivilisationen dagegen seinen nur als schöne Kulisse für all die westliche Pracht da. Eine solche Schulung kann in den Gemütern der jungen nichteuropäischen Menschen nur ein Gefühl der Minderwertigkeit bewirken, was ihre eigene Kultur, ihre eigene Vergangenheit und ihre eigenen zukünftigen Möglichkeiten betrifft. Sie werden systematisch geschult, ihre eigene Zukunft zu verachten – sofern es nicht eine Zukunft ist, die auf den westlichen Idealen aufbaut.“
(Leopold Weiss – Islam am Scheideweg, Edition Bukhara, Seite 82-83)