Asch-Schaukanis Ratschlag an den Imam des Jemens, als die Wahhabiten kamen

Ibn Khaldun schrieb in seiner Muqaddimah folgendes:

»In Abgaben und Steuern liegen doch Ungerechtigkeit und Erniedrigung, die stolze Seelen nicht ertragen können, es sei denn, sie sehen diese als weniger schlimm an als getötet oder vernichtet zu werden, …«

Des Weiteren schrieb er:

»Jeder nämlich, der jemandes Besitz an sich nimmt, diesen zwingt, für sich zu arbeiten, eine ungerechte Forderung an ihn stellt oder ihm eine Pflicht auferlegt, die vom (göttlichen) Gesetz nicht auferlegt wird, der tut ihm Unrecht.

Die, welche ohne ein Anrecht darauf Gelder eintreiben, tun Unrecht; wer sich Übergriffe darauf (d.h. auf das Vermögen anderer) leistet, tut Unrecht; die es rauben, tun Unrecht; die den Menschen ihre Rechte verweigern, tun Unrecht; die sich ganz allgemein (fremde) Besitztümer aneignen, tun Unrecht. […]

Zur Ungerechtigkeit ist jedoch nur derjenige imstande, über den niemand (anderes) Macht ausübt; sie kommt nur bei denen vor, die Macht und Herrschaft innehaben. So wird sie sehr missbilligt, und es gibt viele Drohungen gegen sie in der Hoffnung, dass (dadurch) derjenige, der dazu (d.h. zur Ungerechtigkeit) fähig ist, das Hindernis in sich selbst findet. „Und dein HERR ist nicht ungerecht gegen seine Diener“ (41:46)“«

Und so kam er zu folgender Erklärung:

»Einer löblichen Herrschaftsgewalt entspricht die Milde. Wenn der Herrscher jedoch Gewalt ausübt, rücksichtslos Strafen verteilt, auf der Suche nach den Schwächen der Menschen ist und deren Vergehen auflistet, werden die Menschen von Furcht und Demut ergriffen und suchen dem durch Lüge, List und Betrug zu entgehen. Dies wird für sie zu einem natürlichen Charakterzug, und ihre Auffassungen wie ihre Charaktereigenschaften werden verdorben.

Mitunter lassen sie den Herrscher auf den Schlachtfeldern im Stich und beteiligen sich nicht an Verteidigungsmaßnahmen. Mit dem moralischen Verfall der menschlichen Bestrebungen nimmt auch der militärische Schutz Schaden.«

Über die Steuerpraxis im ersten Wahhabitenreich berichtete der Augenzeuge Johann Ludwig Burckhardt in seinem Werk „Bemerkungen über die Beduinen und Wahaby“ folgendes:

»Willkürliche Auflagen, wie man sie in der Levante unter dem Namen avanias kennt, sind bei den Wahaby gänzlich unbekannt, wo niemand jemals mehr zu zahlen braucht, als was er den Steuereinnehmern schuldig ist, oder die Buße, welche er wegen eines Vergehens an den öffentlichen Schatz zu entrichten verurteilt worden ist. Reiche Personen sind vor der Habsucht der Regierung völlig gesichert, und Arabien ist vielleicht das einzige Land im Osten, wo dergleichen stattfindet. Die reichen Kaufleute zu Mekka, deren Niederlagen die schönsten Beduinenkleidungen enthielten, waren nie genötigt, die kleinste Summe zu zahlen, oder an Saud irgendein Geschenk von Wert zu machen. […] Das Einkommen der Wahaby ist ebenso fundiert, wie zur Zeit Mohammeds.«

Die Islamwissenschaftlerin Barbara Eisenbürger erwähnt nun in ihrem Buch „Muḥammad b. ʿAlī aš-Šawkānī (gest. 1250/1834) – der große jemenitische Reformer“ folgendes:

»Im Laufe der Geschichte, vor allem vor dem Hintergrund des Anwachsens der islamischen Gemeinschaft zu einer staatlichen Institution und den damit verbundenen organisatorischen Notwendigkeiten, klafften die Ansprüche an die zakah-Zahlungen als einerseits persönliche kultische Pflicht des einzelnen Gläubigen und den andererseits fiskalischen Interessen des Staates immer weiter auseinander. Das oftmals komplizierte Verfahren zur Berechnung der zakah-Leistungen und der ohnehin weit verbreitete Missbrauch führten dazu, dass von staatlicher Seite außergesetzliche Abgaben (sing.: maks, pl.: mukus) in Form von Zöllen, Mieten und Gewerbesteuern eingeführt wurden.«

Dann kommt Eisenbürger auf die Expansion der Wahhabiten auf dem Herrschaftsgebiet des schiitisch regierten Jemen zu sprechen.

»Denn als es im Jahr 1218/1803 den Wahhabiten gelungen war, große Teile der Tihama zu erobern, setzte ihnen die dort ansässige Bevölkerung kaum Widerstand entgegen. Trotz mehrerer Kampganen war es der qasimidischen Regierung nicht gelungen, die Tihama zurückzugewinnen, …«

In seinem Adab at-Talab schrieb der jemenitische Gelehrte asch-Schaukani damals folgendes darüber:

»Der amtierende Imam – möge Allah ihn beschützen – ließ seine Minister, seine ältesten Söhne und viele bedeutende Persönlichkeiten zu einer Sitzung zusammenrufen, darunter  drei Gelehrte, zu denen auch ich gehörte. Die Sitzung wurde mit der Absicht einberufen, über einen Aufstand zu beratschlagen, der durch einige Könige (wahhabitische Stammesfürsten) ausgelöst worden war, deren Armeen einen Teil des Gebietes des Imamats erreicht hatten. Daraufhin begingen viele der Untertanen Verrat am eigenen Land und gerieten in Aufruhr, (so sehr, dass) der ganze Jemen von dieser Sache in Unruhe versetzt wurde.«

Dies war der Ratschlag asch-Schaukanis an den Imam des Jemens (auch zu finden in Adab at-Talab):

»Das beste Mittel, um diesem Unglück zu begegnen, ist, Gerechtigkeit gegenüber den Untertanen walten zu lassen und sich bezüglich der Einnahmen auf das zu beschränken, was das (göttliche) Gesetz vorschreibt, und nicht im geringsten darüber hinaus zu gehen. (Ferner ist es nötig), die aufrichtige Absicht dahinter erkennen zu lassen und die Untertanen in allen Regionen darüber zu informieren sowie die feste Entschlossenheit (die rechtmäßigen Maßnahmen) auf Dauer einzuhalten. Denn (diese Politik) ist das beste Mittel, (die drohende Gefahr) abzuwehren und den größeren Nutzen zu erzielen. Denn der Aufstand des Volkes und seine Hinwendung zu den Eindringlingen ist nur so zu verstehen, dass jene das Volk deshalb für sich einnehmen, weil sie sich auf die rechtmäßigen (steuerlichen) Abgaben beschränken.«

Die Islamwissenschaftlerin Barbara Eisenbürger kommentierte diesen Ratschlag in einer Fußnote mit folgenden Worten:

»Vermutlich verbirgt sich hinter dieser Äußerung auch eine gewisse Anerkennung für die Steuerpraktiken der Wahhabiten.«

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Über Jens Yahya Ranft

Jens Yahya Ranft, Jahrgang 1975, verheiratet, 3 Kinder, Geschäftsführer und Prokurist in einem kleinen deutsch-arabischen Unternehmen. Urheber dieses Blogs. Liest und publiziert vor allem in den Bereichen Staats- und Religionsgeschichte, (Sozio-)Ökonomie, politische Philosophie und Soziologie.