„Tatsächlich ist die Kritik an demokratischen Ideen in westlichen Gesellschaften mehr oder weniger tabu. Es ist einem erlaubt, zu kritisieren, wie die Demokratie in die Praxis umgesetzt wird, oder die derzeitigen politischen Führer und Parteien zu geißeln – aber das demokratische Ideal als solches zu kritisieren, das „tut man nicht“.
Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass Demokratie eine Religion geworden ist – eine moderne, säkulare Religion. Man könnte sie den weitverbreitetsten Glauben auf Erden nennen. Alle außer elf Ländern – Myanmar, Swasiland, der Vatikan und ein paar arabische Nationen – beanspruchen, Demokratien zu sein. Dieser Glaube an den Gott der Demokratie ist eng verbunden mit der Verehrung des nationalen demokratischen Staates, die im Verlauf des 19. Jahrhunderts aufkam. Gott und die Kirche wurden durch den Staat als dem Heiligen Vater der Gesellschaft ersetzt. Demokratische Wahlen sind das Ritual, durch das wir zum Staat um Arbeit, Unterkunft, Gesundheit, Sicherheit, Bildung beten. Wir haben absolutes Vertrauen in diesen Demokratischen Staat. Wir glauben, dass Er sich um alles kümmern kann. Er ist der Belohner, der Richter, der Allwissende, der Allmächtige. Wir erwarten von Ihm sogar, das Er all unsere persönlichen und sozialen Probleme löst.“
(Aus dem Buch Beyond Democracy von Frank Karsten und Karel Beckman, auszugsweise ins Deutsche übersetzt von Ulrich Wille, entnommen aus dem Magazin eigentümlich frei, April-Ausgabe 2012 – Nr. 121, Seite 21)