«Die Initiatoren der Demokratie haben die Auffassung vertreten, die Wahlkampagne müsse durch die vollständige Darstellung der sich gegenüberstehenden Programme zu einer Periode der Volkserziehung werden. Sie hielten die Öffentlichkeit der parlamentarischen Debatten für äußerst wichtig, deren Verbreitung es dem Bürger erlauben würde, die Arbeit der Regierung zu verfolgen und auf diese Weise seine Urteilsfähigkeit weiter auszubilden. Wenn schon die Teilhabe einer unwissenden Masse an der Souveränität nicht ohne Nachteile war, würde diese durch die schrittweise Beseitigung dieser Unwissenheit mittels Diskussionen, denen auch der letzte Wähler Aufmerksamkeit schenken mußte, mehr als ausgeglichen. Weil die besten Köpfe der Nation um die Stimmen des Mittelmaßes zu werben hätten, würden durch eine solche Schulung schließlich alle der Rolle würdig, die man ihnen ohne Diskriminierung zuerkannt hatte.
Ohne Zweifel ist dies eines der vornehmsten Argumente zugunsten der Demokratie. Doch die moderne Politik hat schnell begriffen, daß Bildung des Wählers auch bedeutet, ihn den Argumenten des politischen Gegners gegenüber aufgeschlossener zu machen, und folglich unnötige Mühe sei.
Ist bei der Mehrheit der Bevölkerung auch die Denkfähigkeit nicht allzu stark ausgebildet, so sind doch alle Menschen emotional ansprechbar. Zum eigenen Vorteil Vertrauen, Hoffnung und Zuneigung, gegen den Konkurrenten Entrüstung, Zorn und Haß zu erwecken, das war das Geheimnis des Erfolgs. Er ist vollkommen, wenn ein Publikum einer Ansprache applaudiert, die es akustisch nicht vernommen hat, und die Antwort des Gegners mit Getrampel zudeckt. Um es über seine Pflicht aufzuklären, führt man ihm dies Schauspiel in der Nationalversammlung vor. Weit entfernt, die staatsbürgerlichen Fähigkeiten bei denen zu entwickeln, die sie noch nicht besitzen, tötet man sie sogar bei denen ab, die sie erworben hatten.»
(Bertrand de Jouvenel, Über die Staatsgewalt – Die Naturgeschichte ihres Wachstums, Seite 329)