„Wenn die Gottheit Autor des Gesetzes ist, wer könnte dann eine Korrektur wagen? Es braucht ein neues Gesetz. Daher nennen die Christen das Gesetz, dessen Träger Christus war, das Neue Gesetz, während sie das von Moses über die von Jesus nicht behandelten Punkte als das Alte Gesetz bezeichnen. Das ist die Sprache Thomas von Aquins.
So weit sind die Muslime einverstanden. Aber sie kennen noch eine weitere Offenbarung, die von Mohamed. Gläubiger als wir es sind, betrachten sie sein Gesetz noch heute als die einzige Grundlage ihres Rechts. In den Reiseberichten Ibn Batoutahs liest man mit Erstaunen, daß er in einer von seiner Heimat unendlich weit entfernten Gegend aufgefordert wird, Recht zu sprechen. Können wir uns vorstellen, daß ein Abessinier nach Ankunft in Frankreich gebeten würde, unserem höchsten Gerichtshof vorzusitzen? Er, der mit dem Gesetz nicht vertraut ist, vermöchte es auch gar nicht. Ibn Batoutah aber kannte das Gesetz, das einzige, das auf islamischem Boden Geltung hat. Die Einheit des Glaubens führte zur Einheit der Gesetzgebung, da es keinen anderen Gesetzgeber gab außer Gott.
(Bertrand de Jouvenel, Über die Staatsgewalt – Die Naturgeschichte ihres Wachstums, Seite 240)