„Wenn ich vor den Grabdenkmälern der Kaiser und Heerführer stehe, deren mächtige Kuppeln wieder und wieder über die Trümmer des alten Delhi in den klaren Himmel hinausragen, und derweil des Verhältnisses gedenke, in dem der Muslim zu Tod und Ewigkeit steht, ist mir oft, als tönte aus deren Innern Luthers Choral „Ein feste Burg ist unser Gott“ hervor.
Dessen Stimmung entspricht dem Geiste des Mohammedanertums gut, besser als dem des Luthertums von heute. Die Farbe der stolzen Zuversicht, der Kampfesfreudigkeit, die diesem Lied, wie vielleicht keiner zweiten Schöpfung des Christengeistes eignet, ist die eigenste Farbe des Glaubens, der auf Arabiens Propheten zurückgeht.
Heute fühle ich mich, wie lange nicht mehr, beeindruckt von der herben Größe des Monotheismus. Sie ist grandios, die Vorstellung vom Menschen, der nackt und selbständig und ohne vermittelnde Instanzen seinem Gott gegenübertritt, einem Gott, der unbeschränkt durch Gesetze und Normen, rein nach Willkür, über sein Schicksal entscheiden wird, verleiht dem Leben des Einzelnen einzigartiges Pathos. Wieviel mehr Kraft setzt Vertrauen auf einen solchen Gott voraus, als der Theosophenglaube ! Und umgekehrt : wie stark muß er machen!“
(Hermann Graf Keyserling, Das Reisebuch eines Philosophen, 1919, Seite 182-183)