Buchauszug: Ibn Khaldun – Wieso das Abendland untergehen wird

Ich finde wirklich keine passenden Worte. Ibn Khaldun war ein unglaublicher Wissenschaftler, vor allem wenn man bedenkt wann seine Schaffenszeit war. Bereits im 14. Jahrhundert sah sich dieser Mann in der Lage, die wiederkehrenden Symptome aufstrebender und untergehender Reiche zu analysieren. Seine soziologischen und ökonomischen Urteile sind bis zum heutigen Zeitpunkt hochaktuell und sollten auch von Nichtmuslimen nicht verschmäht werden. Als ich den folgenden Abschnitt las, wurde ich unweigerlich an die momentane Situation in Europa und speziell in Deutschland erinnert.

„Wenn der herrschende Staatsapparat über solche Macht verfügt, dass niemand danach trachten würde, ihm die Befehlsgewalt zu entreißen oder sie mit ihm zu teilen, dann fügt sich das Volk seiner Herrschergewalt und begnügt sich mit dem, was ihm an Gütern erlaubt ist, und mit dem Anteil, den es an den Steuern hat. […] Sie (d.h. die Angehörigen des Staates) streben nur nach Wohlleben und Gewinn, einem Leben in Fülle, nach Ruhe im Schatten des herrschenden Staates, hin zu Bequemlichkeit und Erholung […].

So verschwindet die Rauheit […], Gruppensolidarität* und Unerschrockenheit werden geschwächt, und sie genießen, was ihnen Gott an Wohlleben gewährt. Ihre Kinder und deren Nachkommen wachsen ebenso auf, zu stolz, sich selbst zu versorgen und sich um ihre eigenen Belange zu kümmern. Sie verschmähen alle anderen Dinge, die innerhalb der Gruppensolidarität notwendig sind, so dass dies zu einem Charakterzug und zu ihrer Natur wird. So nimmt die Gruppensolidarität und die Unerschrockenheit in den Generationen nach ihnen mehr und mehr ab, bis die Gruppensolidarität erlischt und sich der Untergang ankündigt.

Je größer ihr Luxus und ihr Wohlleben sind, desto näher sind sie dem Untergang […]. Die zum Luxus und zum Versinken in Wohlleben gehörenden Dinge zersetzen die Stärke der Gruppensolidarität, welche die Überlegenheit begründet. Wenn die Gruppensolidarität erlischt, ist der Stamm zur Verteidigung und zum Schutz unfähig […]. Er wird dann von anderen Völkern verschlungen. […]

Und ALLAH gewährt Seine Herrschaft, wem ER will.“

(Ibn Khaldun, Die Muqaddima, neu übersetzt von Alma Giese, Seite 162-163)

* Mit Gruppensolidarität meint Ibn Khaldun die natürliche Ordnung die in gewachsenen Strukturen entsteht. Diese gewachsene Ordnungsstruktur beinhaltet natürliche Autoritäten, Abhängigkeiten und Zusammenhalt. Die kleinste, aber stärkste Gruppensolidarität bilden hier die Familie, gefolgt von Sippe und Stamm. Die Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Religionsgemeinschaft bildet dann eine große Gruppensolidarität.

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Über Jens Yahya Ranft

Jens Yahya Ranft, Jahrgang 1975, verheiratet, 3 Kinder, Geschäftsführer und Prokurist in einem kleinen deutsch-arabischen Unternehmen. Urheber dieses Blogs. Liest und publiziert vor allem in den Bereichen Staats- und Religionsgeschichte, (Sozio-)Ökonomie, politische Philosophie und Soziologie.

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