Das moderne westliche Staatsmodell, mit seiner offensiven Besteuerungs- und Bevormundungsbürokratie, hat es bei seiner schrittweisen Einführung im freien und islamisch geprägten Morgenland nicht leicht gehabt. Erst versuchten sich (vergeblich) die Osmanen, die mit Beginn ihrer Tanzimat-Periode Teile des westlichen Staatssystems übernahmen und auch anwenden wollten. Dann kamen die europäischen Kolonialmächte in den Nahen und Mittleren Osten, jedoch ebenfalls nicht erfolgreich. Letztendlich war es erst die harte Knute der arabischen Despoten, die es – im Windschatten des Kalten Krieges und mit den abendländischen Ideologien des Nationalismus und Sozialismus im Handgepäck – vollbrachte, den westlichen Überstaat in seiner vollen Machtentfaltung in den arabischen Stammesgebieten zu etablieren.
Der folgende kurze Auszug aus dem Buch des Prof. Dr. Ludwig Ferdinand Clauß schneidet diese Thematik kurz an, besonders am Beispiel der Entwaffnung des freien Beduinen im national-sozialistischen Syrien der 60er Jahre.
„Im Mittelpunkt aller Fragen steht heute der Staat, in dessen Wesen es logisch begründet liegt, daß darin die Nomaden zu kurz kommen. Staat kommt von status: er ist seinem Wesen nach statisch, ein Gedanke des seßhaften Menschen.
Als ich vor dreißig Jahren (1927) zum ersten Male in die Welt der Nomaden einging, machte der Staat erst täppische Versuche, an die Beduinen der Wüste, die von Kamelzucht leben, tastend heranzukommen (was auch schon die Türken versucht hatten): in Gestalt von Steuerbeamten. Aber das war die Mandatsmacht, das war Fremdherrschaft, und die Araber in den Städten schauten grinsend zu, wenn der Versuch mißlang. Er mißlang sehr oft, weil eben die Beduinen jeweils dort nicht waren, wo der Steuerbeamte war. Das ist heute (1963) anders.
Der Staat ist nicht mehr etwas von Fremden Gemachtes, er will selbst arabisch sein. Arabischer Staat besteuert seine Bürger und wird böse, wenn sich ihm einer entzieht, der sich entziehen kann, weil er kein Bürger ist.
Als Syrien vor ein paar Jahren sich plötzlich unter die Macht Ägyptens fügte (Vereinigte Arabische Republik), da verlangte der Staat, daß der Wüstenbewohner ihm die Waffe herausgebe – die Waffe, die für den Nomaden zur Kleidung gehört und ohne die er sich nackt fühlt – und sie vom Staate wieder entgegennehme, nachdem ihm dieser einen Waffenschein ausgestellt hat.
Zu dessen Erwerb soll der Hirtenkrieger der Wüste ein Büschel Formulare ausfüllen und einen Antrag stellen. Alles schriftlich versteht sich. Wo doch der Mann der Wüste sein eigentliches Schreibzeug gerade in der Waffe sieht. Man könnte von ihm genausogut verlangen, er möge sein Recht, mit der eigenen Lunge zu atmen, schriftlich begründen und inzwischen das Atmen solange unterlassen, bis ihm das Recht dazu durch einen Atmungsschein amtlich bestätigt wird.
Sich auf derlei einzulassen, bedeutet auf jeden Fall, daß ein Beamter das Recht hat, nicht nur zu genehmigen, sondern auch abzulehnen. Denn der Staat ist für den Beduinen nicht ein abstractum, sondern jeweils ein Beamter.
Und was taten die Beduinen? Die einen lachten und taten überhaupt nichts, und die anderen – ganze Stämme – zogen aus Syrien ab in ein anderes Staatsgebiet, wo Nomaden noch frei als Nomaden leben können, …“
(Prof. Dr. phil. Ludwig Ferdinand Clauß, Die Weltstunde des Islams, © 1963, Seite 18-19)