Buchauszug: Roland Baader – Die Grenzkosten-Illusion und ihre Medizin

„Der bedeutendste Freiheitsdenker der Gegenwart, der Philosoph Anthony de Jasay, hat mit zwingender Gedankenführung dargelegt, daß der logische Endpunkt aller Politik der Totalitarismus sein muß. Das gilt auch für die politische Entwicklung in den demokratischen und (noch) halbwegs freien Staaten. Der Hauptgrund ist in dem Umstand zu suchen, daß die Grenzkosten (Kosten der letzten hinzukommenden Einheit) der öffentlichen Güter von jedem Bürger als Null empfunden werden – und für jeden Einzelmenschen auch tatsächlich fast gleich Null sind, obwohl die Gesamtkosten ihrer Bereitstellung gigantisch sind. Dafür ein Beispiel:

Jeder Vater oder jede Mutter, die ihr Kind zur Schule schicken, wissen (oder empfinden), daß die Schulausbildung ihres Kindes die Gemeinschaft nicht mehr kostet, als wenn es zuhause bliebe. Anders gesagt: Wenn das Kind – z.B. wegen Krankheit – sein Leben lang nicht zur Schule gehen könnte, so wäre die entsprechende Einsparung im gesamten Bildungswesen gleich Null oder fast gleich Null. Entsprechendes denkt der Autofahrer hinsichtlich der Kosten der Verkehrswege. Wenn er als einzelner Mensch das Autofahren aufgeben würde, hätte das Verkehrsministerium nichts davon. Die Bau- und, Unterhaltskosten des Verkehrsnetzes würden nicht sinken (und also auch nicht steigen, wenn jener einzelne Autofahrer die Fahrpraxis wieder aufnähme). Zugleich aber verschlingen die öffentlichen Güter namens Bildungswesen und Verkehrswege immense Summen.

Die Folge dieser „Grenzkosten-Illusion“ ist, daß für jeden Einzelmenschen der Nettonutzen, den er durch die zunehmende Bereitstellung öffentlicher Güter erwartet, subjektiv stets positiv ausfällt. Also wird er es begrüßen – oder sogar fordern, daß der Staat (die Politik) immer mehr und mehr Güter und Dienste als jeweils öffentliches Gut bereitstellt. Am Ende dieser „konstitutionellen Straße“, so Jasay, steht die praktische Allmacht der kollektiven Entscheidung (die allmächtige Politik), die sogar über ihre eigenen Regeln entscheidet und somit totalitär geworden ist. Aufzuhalten wäre dieser Marsch in die Knechtschaft nur dann, wenn ein bedeutender Teil der Bevölkerung ihr nutzenmaximierendes Verhalten (hinsichtlich öffentlicher Güter – sprich: Staatsleistungen) stark einschränken würde. Aber eine solche Einschränkung des verstandesgemäßen Eigeninteresses wird nur stattfinden, wenn viele oder die meisten Menschen – gewissermaßen „blind“ auf metaphysische Normen und Werte vertrauen, also sich freiwillig religiösen Verhaltensregeln oder Tabus unterstellen.

(Roland Baader, Das Kapital am Pranger – Ein Kompaß durch den politischen Begriffsnebel, Seite 214 / Hervorhebung durch Unterstrich von mir)

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Über Jens Yahya Ranft

Jens Yahya Ranft, Jahrgang 1975, verheiratet, 3 Kinder, Geschäftsführer und Prokurist in einem kleinen deutsch-arabischen Unternehmen. Urheber dieses Blogs. Liest und publiziert vor allem in den Bereichen Staats- und Religionsgeschichte, (Sozio-)Ökonomie, politische Philosophie und Soziologie.

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