von Yahya ibn Rainer am 07. Mai 2014
Die Lobby gegen den Islam und die Muslime in Deutschland ist groß und weit gefächert. Allein der Besuch von PI-News offenbart ein wahres Potpourri an unterschiedlichen weltanschaulichen Gesinnungen innerhalb dieses Milieus. Angeführt vom liberalen Geist mit neokonservativem Einschlag, schreiben, werben und kommentieren auf PI-News, Seit an Seit, Liberale, Sozialdemokraten, Nationaldemokraten, Erzkatholiken, Evangelikale, Nihilisten, Neurechte, Altrechte, missionierende Antitheisten uvm., allein nur um eines gemeinsamen Zieles wegen, nämlich zur Herabsetzung, Beleidigung, Widerlegung und Bekämpfung des Islams und der Muslime.
Diese kunterbunte Mischung führt allerdings dazu, dass man bei der (ehrlichen und unbedachten) ideologischen Argumentation die Weltanschauung des Mitstreiters in nicht unbeträchtlicher Weise tangieren könnte, was im Resultat natürlich zu einer Schwächung des gemeinsamen Standpunktes führt und diese fragile Querfront damit zum Scheitern verurteilt. So war es also nötig, dass man zugunsten der gemeinsamen Front den eigenen weltanschaulichen bzw. gesellschaftlichen Standpunkt aufweicht und dermaßen anpasst, dass er einem Angriff auf den Islam und die Muslime genüge, aber keinem Mitstreiter übel aufstößt.
Damit, und das ist auch schon einigen wenigen gewahr geworden, ist man einer Praxis verfallen, die gemeinhin als Multikulturalismus verschrien ist: Die Aufweichung eigener kultureller, sittlicher und moralischer Werte, zugunsten eines großen und gemeinsamen Ganzen.
Diese Querfront hat schon reichlich Früchte getragen, allerdings nicht in der Bekämpfung des Islams, der wächst nämlich unter solcherlei Umständen viel gedeihlicher. Nein, dieser Zusammenschluss von Religiösen und Antireligiösen, von Liberalen und Antiliberalen, von Sittlichen und Unsittlichen, von Asketen und Hedonisten hat Früchte hervorgebracht, die dem kulturrelativistischem Zeitgeist überaus schmackhaft sind.
Die meisten Federn musste in dieser schicksalshaften Verbindung bisher der traditionsbewusste Konservatismus lassen. Ursprünglich den guten (weil alten) Werten verbunden, sah er sich nun einem Widerspruch ausgesetzt, den eine Kooperation mit sozialdemokratischen, linksliberalen und antireligiösen Mitstreitern in sich birgt. Der Journalist Andrea Ricci zeigte in einem politischen Magazin dieses Dilemma mal am Beispiel der CSU auf.
“Das, was man früher in jenen Kreisen solide als «Überfremdung» bezeichnet hat, trägt heute den flotten Namen «Islamisierung». Man übt keine Kritik mehr an der massenhaften Einwanderung, sondern gibt sich – ganz aufgeklärt – als besorgte Religionskritiker. Dieser Trend reicht bis weit in die Mitte.
Das führt zu geradezu bizarren politischen Aussagen: Etwa dann, wenn sich CSU-Stammtische über die Homosexuellenverfolgung in islamischen Ländern Sorgen machen oder christ-soziale Politiker plötzlich den Feminismus für sich entdeckt haben, wenn es gegen das islamische Kopftuch geht. Schwulenrechte und Feminismus sind moderne liberale Steckenpferde, für die sich normalerweise katholische Bischöfe genauso wenig begeistern können wie muslimische Imame.
Auch Wilders spielt massiv auf dieser postmodernen Klaviatur, wenn es gegen den Islam geht. Gegen den Islam – wie er selbst stets betont, nicht gegen die Einwanderer. Er verteidigt das, was er «christlich-jüdisches Erbe» nennt – eine Formulierung, die längst auch in den bundesrepublikanischen Alltag eingezogen ist. Inwiefern der Christopher Street Day und Frauenquote sich aus dem christlich-jüdischen Erbe ableiten lassen, sei einmal dahingestellt.”
Eine besondere Tugend, die in Deutschland vollkommen abhanden gekommen zu sein scheint, ist die Schamhaftigkeit. Im gemeinsamen Kampf gegen Burka, Kopftuch und weite Kleidertracht sind auch die (r)echten Traditionalisten zu Wahrern des modernen Zeitgeistes mutiert. Die Frau sieht man am liebsten hauteng oder halbnackt gekleidet, natürlich in Hosen; Vulva und Porille möglichst erkennbar, aber auch die Brüste sollten bitte drapiert und aufgerichtet in ihrer Gänze optisch nachvollziehbar sein. Nichts ist zu schade um es den lüsternen Blicken des männlichen Geschlechtes auszuliefern.
Noch besser gefällt das Ganze dann im Schwimmbad. Hier sind es nur noch hauchdünne Stofffetzen, die sich elastisch über die primären und sekundären Geschlechtsmerkmale spannen. Dem geneigten Betrachter bietet sich hier auch ein äußerst vielschichtes Anschauungsmaterial. Für jeden etwas dabei, vom Hetero- bis zum Homosexuellen, vom Pädo- bis zum Gerontophilen usw.
Doch sogar noch hier findet der (r)echte Abendländer die Gefährdung der christlich-jüdischen Tradition aufkeimen, durch das Aufkommen von muslimischen Burkinis, einem eher schlechten als rechten Versuch halbschamhafte Muslimas ins uringefüllte und chlorverseuchte Schwimmbecken zu locken. Eine Gefährdungstufe höher thront da noch die muslimische Frau, die sich komplett verweigert und überhaupt nicht an Badeaktivitäten im gemischten Geschlechterzoo teilnehmen möchte. Eine bare Katastrophe.
In diesem ganzen Kampfgeschwafel gegen Islamisierung und für eine – angeblich – christliche-jüdische Leitkultur, wird die eigene, traditionelle deutsche Auffassung von Schamhaftigkeit vollkommen unterschlagen. So wie das Kopftuch auch integraler Bestandteil christlicher und jüdischer Tradition ist, gab es früher auch eine gesellschaftliche Verpflichtung zur Schamhaftigkeit, vor allem für das weibliche Geschlecht. Und wir müssen dafür nicht einmal bis ins vorindustrielle Zeitalter abschweifen.
Seebäder im 19. Jahrhundert
Wie ging man denn früher in Deutschland dem Badespaß nach? Im Laufe des 19. Jahrhunderts etablierten sich an Nord- und Ostsee diverse Seebäder.
“Der Badeaufenthalt auf der Insel gestaltete sich etwas anders als heute: Das Baden als medizinische Anwendung geschah durch schlichtes Eintauchen – Schwimmen konnte kaum jemand. Frauen und Männer hatten streng getrennte Strände, Männer badeten nackt oder in Unterwäsche, Frauen voll bekleidet. Frauen und Kinder nutzten Badekarren als Umkleidemöglichkeit. Die Karren wurden ins tiefere Wasser gezogen, so dass die Frauen vom Karren aus ins Wasser gelangten.”
Diese sogenannten Badekarren waren weit verbreitet und sind ein gutes Beispiel für die Schamhaftigkeit zur damaligen Zeit.
“Die Badekarre stand zunächst am Strand und wurde von den Benutzern in Straßenkleidung betreten, wobei eine Karre stets nur für Frauen oder nur für Männer bestimmt war. Im Inneren der fensterlosen Kabine zogen sich die Badegäste dann um, geschützt vor neugierigen Blicken. Es gab Bänke, die vier bis sechs Personen Platz boten. Die Karre wurde dann von einem Kutscher mit Pferdegespann ins tiefere Wasser gezogen. […]
Von der hinteren Tür, dem Strand abgewandt, ging es dann über eine kleine Treppe ins Meer, wobei über diese auch noch eine Plane gespannt war. Ein an der Karre befestigtes Tau diente den Nichtschwimmern als Halteleine. Zu dieser Zeit konnten vor allem die meisten Frauen der besseren Gesellschaft nicht schwimmen, es wurde lediglich gebadet. Während des Bades diente die Karre als Sichtschutz. Danach ging es auf die gleiche Weise zurück zum Strand.”
In Das Wasser-Buch: Kultur, Religion, Gesellschaft, Wirtschaft schreibt Frank Kürschner-Pelkmann auf Seite 40 folgendes:
“Undenkbar, dass die Gäste einfach in die Fluten stiegen und welche Blöße auch immer zeigten. Zur Bewahrung des Anstandes wurden Badekarren entwickelt, in die die Gäste einzeln stiegen und dann einige Meter ins Meer gerollt wurden. […]
Damit war der Sittlichkeit Genüge getan, könnte man denken, aber die Seebäder wollten keinen Zweifel am Anstand aufkommen lassen. Sie unterteilten den Strand in drei Bereiche: einen für die Badekarren der Männer, einen für die der Frauen und einen neutralen Bereich in der Mitte, in dem nicht gebadet werden durfte. In Travemünde durften Männer und Frauen erst 1927 gemeinsam im Strandkorb sitzen und am gleichen Strandabschnitt baden. Noch 1914 schrieb Franz Kafka, dass er in diesem Seebad “durch die nackten Füße als unanständig aufgefallen” sei.”
Offiziell fiel das Verbot von geschlechtergemischten Familienstränden im Jahre 1902 und ab 1918 durfte von diesen Familienstränden aus auch gemeinsam gebadet werden. Allerdings gab es strenge Kleidungsvorschrift. 1932 gab es unter Innenminister Dr. Bracht einen sogenannten Zwickel-Erlass, dieser legte fest, dass die Damen einen Badeanzug tragen müssen, …
„… der Brust und Leib an der Vorderseite des Oberkörpers völlig bedeckt, unter den Armen fest anliegt sowie mit angeschnittenen Beinen und einem Zwickel versehen ist. Der Rückenausschnitt des Badeanzuges darf nicht über das untere Ende der Schulterblätter hinausgehen.”
Und in einem offiziellen Ostsee-Badeführer konnte man im Jahre 1926 noch folgendes lesen:
„Eine wichtige Konzession haben sich die Ostseebäder durch den Umsturz (gemeint ist der Fall des Verbotes für geschlechtergemischtes Baden 1918) abringen lassen: sie mußten das Freibaden vom Strandkorb aus gestatten. Gern haben sie das nicht getan, denn sie mußten mit einem starken Widerspruch sittenstrenger Zeitgenossen rechnen, die von der neuen, freien Mode keineswegs erbaut waren. Aber die moderne Richtung wußte ihre Sache mit so beredtem Ausdruck zu führen, daß schließlich die zuständigen Regierungspräsidenten dem Antrag stattgaben…”
Es gab also nachweislich, bis ins letzte Jahrhundert, eine starke Sittlichkeit und Schamhaftigkeit in Deutschland, die sicherlich keine Phase war, sondern gesellschaftlicher Usus. Der Verfall der tradierten Sitten und Moralvorstellungen ging einher mit dem Niedergang des Kaiserreiches und dem Beginn des ersten demokratischen Experiments auf deutschem Boden. Dieser Verfall fand bis dato kein Ende und richtet sich heute, leider auch im Verein mit pseudo-konservativen und -traditionellen Kräften, gegen den Islam und die Muslime.
Nackte Haut, vorzugsweise weibliche, ist längst keine linke oder libertine Protestform mehr. Auch junge konservative und neurechte Bewegungen verlassen ihre sittlichen und moralischen Wurzeln und nutzen das aufreizende Potenzial weiblicher Kurven für ihre Zwecke, die eben dadurch nicht mehr wirklich konservativ und traditionell sind.