von Jens Yahya Ranft
Ich arbeite seit 2013 für einen arabisch-stämmigen Kaufmann; Buchführung, Rechnungswesen, Einkauf, Personalwesen usw., den ganz normalen Bürokram.
In einem Kleinunternehmen zu arbeiten hat gute und schlechte Seiten, wenn der Arbeitgeber jedoch ein observanter Muslim ist, überwiegen die Vorteile. So habe ich an den muslimischen Feiertagen frei und kann während der Arbeitszeit das Freitagsgebet besuchen.
Von 2015 bis 2022 arbeitete ich (zumeist alleine) in einem Gewerbekomplex in einem großen 4-Raum-Büro. Ich hatte zwar einen Kollegen im Versand, aber der kam nur 1-2 Stunden am Tag. Da meine Frau auch zu arbeiten begann, habe ich die Kinder übernommen, wenn mal schulfrei war, z.B. während den Schulferien, bei Krankheit o.ä..
Es kam also vor, dass ich morgens mit bis zu drei Kindern zur Arbeit fuhr, jedes Kind bekam ein Büro und durfte dort basteln, lesen oder etwas Netflix gucken, während ich meiner Arbeit nachgehen konnte. Eine große Erleichterung und ein Privileg in der heutigen Arbeitswelt.
In diesen 7 Jahren hatte ich zwischenzeitlich aber auch mal Kollegen, die allerdings nur wenige Monate in der Firma blieben. So beispielsweise Herr Dr. Majdi, ein Allgemeinmediziner aus Syrien, der irgendwann während des Bürgerkriegs nach Deutschland flüchtete. Er sollte für uns medizinische Studien lesen und auswerten.
Nun war es so, dass unser Büro eine Klingel hatte und meine Kinder machten sich morgens einen Spaß daraus, vorauszulaufen, um die Büroklingel zu drücken, bevor ich das Büro aufschloss; also ein Wettlauf, wer zuerst ankam und klingelte. Als ich noch allein im Büro arbeitete, störte mich das nicht, aber als Dr. Majdi mit im Büro war, wollte ich nicht, dass die Kinder klingelten, damit er nicht extra aufstehen und zur Tür gehen muss.
Ich rief den Kindern also zu »Nicht klingeln, nicht klingeln, sonst wird Magdi wach!« Meine Kinder sind halbe Ägypter und Ägypter sprechen das ج (Dschīm) als g aus, so wird aus dem Jihad ein Gihad, aus der Masjid eine Masgid und aus dem guten Dr. Majdi wird Magdi. Dass Magdi wach wird, war beim ersten Mal nur ein Versprecher, aber ich fand es so lustig, dass ich dabei blieb. Die Kinder klingelten natürlich trotzdem, nur jetzt besonders motiviert und gleich mehrfach, während sie dabei lachten.
Gott sei Dank war Herr Dr. Majdi nie vor mir im Büro, meine Befürchtung, er könnte sich durch das Sturmklingeln meiner Kinder gestört fühlen, war also unbegründet. Und so wurde es zu einer Sunnah (Gewohnheit), dass meine Kinder – wenn ich sie mit zur Arbeit nahm – einen Wettlauf vom Parkplatz zur Bürotür machten, um dort zu klingeln, während ich hinterherrief »Nicht klingeln, nicht klingeln, sonst wird Magdi wach!«.
Dies blieb auch so, als Herr Dr. Majdi schon längst nicht mehr bei uns arbeitete. Aus meinem syrischen Arbeitskollegen Dr. Majdi wurde nun ein ominöser unsichtbarer Magdi, der morgens angeblich im Büro schlief und auf keinen Fall geweckt werden dürfte. Wenn ich an der Bürotür ankam fragte ich meine Kinder » Habt ihr etwa geklingelt?« und sie gaben es belustigt zu, worauf ich mit düsterer Stimme ganz leise sagte »Oh nein, das wird böse enden!«.
Zu Hause erzählten die Kinder dann meiner Frau von Magdi und dass sie ihn geweckt hätten. Auf die Frage meiner Frau, wer denn Magdi sei und warum der im Büro schlafe, sagte ich spontan: »Magdi ist unser Büro-Jinn.«
Damit war der Jinn Magdi geboren.
Aber es wird noch besser. Ende Dezember 2022 ist die Firma aus dem Gewerbekomplex ausgezogen und ich arbeite seitdem im Homeoffice. Ich habe also meinen Schreibtisch, Arbeits-PC und einige Unterlagen mit nach Hause genommen und das Büro wurde weitervermietet. Ich habe allerdings auch Magdi mitgenommen. Nun ist Magdi unser Haus-Jinn. Immer wenn wir ein Geräusch hören, etwas verlegt wird oder verloren geht (z.B. eine einzelne Socke, ein Schlüssel oder ein Handy), dann sagen wir erst »Das war bestimmt Magdi«, bevor wir anfangen zu suchen.
Anfangs hatten die Kinder ein wenig Angst vor Magdi, vor allem zu Bürozeiten, als ich Ihnen sagte, dass Magdi in der Toilette schläft, trauten sie sich nicht mehr alleine auf die Bürotoilette, die etwas entfernt von den Büroräumen lag. Aber ich erklärte ihnen dann, dass es böse und gute Jinne gibt und dass es unter ihnen auch Muslime gibt. »Wenn es Magdi wirklich gibt – was keiner von uns mit Sicherhiet sagen kann – dann ist er vielleicht ein Schelm, aber bestimmt ein guter Jinn.«.
Seitdem ist Magdi ein fester Bestandteil unserer Familie, unser Haus-Jinn. Keines der Kinder glaubt wirklich, dass es ihn gibt, aber wir lachen gemeinsam darüber, wenn wir ihn für Geräusche oder verlorene Sachen verantwortlich machen. Vor allem aber ist Magdi eine Sympathiefigur geworden, sodass die Kinder, vor allem meine Jüngste (7), abends oder bei Dunkelheit keine Angst mehr haben, auch wenn es komische Geräusche gibt. Das kann dann nämlich nur Magdi gewesen sein.