Pellkartoffel

Nachdem ich am 01. Dezember eine Ode an den Kartoffelbrei verfasste, ist nun die nächste deutsche Kartoffelspezialität dran, … die Pellkartoffel. Die Pellkartoffel ist sozusagen die Vorstufe zum Kartoffelbrei, auch wenn man diesen ebenso aus zerdrückten Salzkartoffel herstellen könnte.

Die Pellkartoffel ist aber um einiges schmackhafter und bodenständiger als die pikfeine Salzkartoffel. Sie ist ursprünglich und zünftig und tief in der deutschen Esskultur verankert.

Wikipedia weiß folgendes dazu zu sagen:

“Das Garen in der Schale (oder eben der Pelle) sorgt für geringere Verluste an Geschmacks- und Nährstoffen als bei geschälten Kartoffeln (insbesondere Salzkartoffeln).
Pellkartoffeln stehen als schlichteste Zubereitungsform eines Grundnahrungsmittels auch symbolisch für ein frugales (bescheidenes und bodenständiges) Mahl. […]

Verwendet werden meist kleine oder mittelgroße, festkochende oder vorwiegend festkochende Kartoffeln. Nach etwa 20-30 Minuten (je nach Größe) Kochzeit oder 10 Minuten im Schnellkochtopf werden sie heiß serviert und erst am Tisch von der Schale befreit (gepellt). Die heiße Kartoffel wird beim Schälen mit einer Gabel aufgespießt, im Fachhandel gibt es auch spezielle Gabeln mit im Dreieck angeordneten Zinken, da die Kartoffeln bei Verwendung normaler Gabeln leicht auseinanderfallen. Bei sehr jungen oder frisch geernteten Kartoffeln kann man auch die Schale mit essen.”

(http://de.wikipedia.org/wiki/Pellkartoffeln)

Die Pellkartoffel scheint ein urdeutsches Kulturgut zu sein. Das Besondere an ihr ist, dass sie in vielen Gegenden des deutschsprachigen Raumes als Hauptspeise gilt und nicht, wie sonst gewohnt, als Beilage. In einigen Gebieten ist sie sogar fester Bestandteil regelmäßiger Riten. So gibt es in Ostwestfalen und Südniedersachsen, wo ich aufgewachsen bin, jedes Jahr traditionelles Kartoffelbraten, das z.B. von örtlichen Partei-Ortsverbänden, Freiwilligen Feuerwehren oder Vereinen ausgerichtet wird. Dort werden die ungepellten Kartoffeln nicht im Wasser gekocht, sondern, in Alufolie gewickelt, auf die Glut eines großen Lagerfeuers gelegt. Traditionell gibt es dann zur frisch gepellten Kartoffel Quark, Butter, Leberwurst oder Judensülze.

Ja, richtig gelesen, Judensülze. Das hört sich auf Anhieb schrecklich an, ist aber nichts anderes als eine “koshere Sülze” für Teilnehmer die keine Fleisch- und Wurstprodukte aus christlicher Produktion verzehren dürfen/wollen. Früher waren das eben die Juden, heute kommt diese Sülze (was eigentlich klein gehacktes Gemüse in einem Essigsud ist) auch den Muslimen zugute, die an derartigen Festivitäten teilnehmen. Im Internet ist der Begriff jedoch nicht so häufig anzutreffen, … aber in einem Internet-Forum wurde ich eines Rezeptes fündig:

Judensülze ist eine respektierliche Zutat zum “Kartoffelbraten”, zu Backhauskartoffeln. Sie wurde bereits im 19. Jahrhundert eingeführt, um strenggläubigen Juden, die Schweinefleisch ablehnen (nicht alle Juden tun das), die Teilnahme an gemeinsamen Vereinsfeiern mit Nichtjuden möglich zu machen. Judensülze schmeckte so gut, dass sie sich damals im südlichen Niedersachsen schnell verbreitete und heute noch überaus üblich ist; niemand findet sie “peinlich”.

Zutaten:

  • Eingelegte Gurken und Zwiebeln zu gleichen Teilen
  • etwas Essig (auch Gurkenwasser)
  • Öl
  • Salz
  • Pfeffer
  • Zucker

Gurken und Zwiebeln werden sehr klein geschnitten (Gurken höchstens ca. 1/2 cm) und mit den übrigen Zutaten abgeschmeckt. Dabei sollte man mit Essig und Zucker zurückhaltend sein.”

Der Begriff Pellkartoffel ist der gängigste, aber man kennt sie auch mancherorts unter den Namen Quellmänner, Quellkartoffeln, Quellesjer und Ganze Abern. In Österreich werden sie meist nur gekochte Erdäpfel und in der Schweiz sowie Süddeutschland auch Gschwellti genannt.

Der Status der Pellkartoffel unter den Deutschen wird auch dadurch veranschaulicht, dass sogar der bekannte Dichter, Schriftsteller und Kabarettist Joachim Ringelnatz ein Gedicht zu ihren Ehren verfasste, welches ich euch zum Abschluss kredenzen möchte.

Abschiedsworte an Pellka

Jetzt schlägt deine schlimmste Stunde,
Du Ungleichrunde,
Du Ausgekochte, du Zeitgeschälte,
Du Vielgequälte,
Du Gipfel meines Entzückens.
Jetzt kommt der Moment des Zerdrückens
Mit der Gabel! — Sei stark!
Ich will auch Butter und Salz und Quark
Oder Kümmel, auch Leberwurst in dich stampfen.
Musst nicht so ängstlich dampfen.
Ich möchte dich doch noch einmal erfreun.
Soll ich Schnittlauch über dich streun?
Oder ist dir nach Hering zumut?
Du bist so ein rührend junges Blut. —
Deshalb schmeckst du besonders gut.
Wenn das auch egoistisch klingt,
So tröste dich damit, du wundervolle
Pellka, dass du eine Edelknolle
Warst, und dass dich ein Kenner verschlingt.

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Über Jens Yahya Ranft

Jens Yahya Ranft, Jahrgang 1975, verheiratet, 3 Kinder, Geschäftsführer und Prokurist in einem kleinen deutsch-arabischen Unternehmen. Urheber dieses Blogs. Liest und publiziert vor allem in den Bereichen Staats- und Religionsgeschichte, (Sozio-)Ökonomie, politische Philosophie und Soziologie.

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