Der Begriff „Antisemitismus“ ist jung, die Sache ist uralt und bezeichnet die Abneigung der Völker gegen Juden in ihrer Mitte. Es handelt sich dabei, sozialpsychologisch gesehen, um ein Minderheitenproblem: Die Mehrheiten grenzen sich gegen alles Anderartige gefühlsmäßig ab, befestigen das Eigene durch Verehrung und schieben das Fremde beiseite, um es für die eigene Art ungefährlich zu machen.
(Quelle: Judentumskunde – Eine Einführung / Hans-Jochen Gamm 1960)
Der Begriff ist tatsächlich sehr jung. Der erste Mensch, der sich dem Vorwurf des Antisemitismus stellen mußte, war der französische Schriftsteller, Religionswissenschaftler und Orientalist Ernest Renan (1823-1892).
In seinen Études d’Histoire Religieuse (Studien zur Religionsgeschichte) behauptet er – auch in der Tradition von Christian Lassen -, „Semiten“ sei militärischer, politischer, wissenschaftlicher und geistiger Fortschritt fremd; Intoleranz sei die natürliche Folge ihres Monotheismus, den sie den vom Polytheismus geprägten Ariern aus ihrer Kultur übergestülpt hätten. Ihr arrogantes Erwählungsbewusstsein sei seit 1800 Jahren verantwortlich für den Hass auf sie. Damit meinte er die Juden und die Muslime, im besonderen die Araber, die wie die Juden der semitischen Sprachgruppe und Ethnie angehören. Unter anderem Moritz Steinschneider, der jüdische Bibliograph und Mitgründer der Judaistik, widersprach ihm und nannte Renans Einschätzungen erstmals „antisemitisch“.
(http://de.wikipedia.org/wiki/Ernest_Renan#Antisemitismus)
Nicht nur die Nennung der Muslime bzw Araber, neben den Juden, ist in diesem Zusammenhang interessant, sondern auch der Begriff der das vermeintliche „gute Gegenstück“ zu den Semiten darstellte. Ernest Renan popularisierte somit die philologischen Begriffe „arisch“ und „semitisch“ zu rassischen Bezeichnungen und leutete damit eine neue Qualität der Auseinandersetzung ein. Die Juden und Muslime wurden zu einer niederen Rasse erklärt, der gegenüber die weiße arische Herrenrasse stand.
Obwohl der Begriff des Antisemitismus erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts auftaucht, können bereits der zuvor geführte antijüdische Diskurs ebenso wie die Pogrome unter diesem Begriff subsumiert werden. Seit der Entstehung des modernen, säkulären Judenhasses wurde dieser unspezifische Sammelbegriff für alles verwendet, was irgendwie mit der Abneigung gegen Juden zu tun hatte.
(Quelle: Antisemitismus und Islamophobie -ein Vergleich- / Sabine Schiffer und Constantin Wagner)
Das über weite Teile der modernen Geschichtsschreibung der antiislamische bzw antimuslimische Diskurs nicht unter diesen Sammelbegriff fiel, ist wohl dadurch zu erklären, dass im Grunde erst seit den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts Muslime als Minderheit in Deutschland leben und Juden im Gegensatz dazu schon seit der Zeit des römischen Reiches hier angesiedelt bzw heimisch waren. Zudem war die Situation der Juden seit jeher weitaus schwieriger als die anderer Minderheiten. Ist es doch im Normalfall so, dass jede ethnische Minderheit eine angestammte Heimat, ein Herkunftsland vorweisen konnte, in welches sie sich bei Pogromen und Verfolgungen zurückziehen konnten. Die Juden jedoch lebten seit dem von den Römern verursachten Exil im Jahre 70 in der Diaspora (Zerstreuung) und waren ohne eigene angestammte Heimat. So waren sie gezwungen unter ihren Peinigern weiter zu leben oder sich auf Wanderschaft zu begeben um an einem anderen Ort als Minderheit besser behandelt zu werden.