von Yahya ibn Rainer
Für gewöhnlich passiert es im Leben eines jeden Deutschen während seiner Schulzeit, so etwa in der 5. oder 6. Klasse, wenn man das Fach Geschichte frisch belegt, dann werden üblicherweise diese Themen sofort angepackt. 2. Weltkrieg, Holocaust, Antisemitismus, Verfolgung, Vernichtung, Hass und der Inbegriff dieses Ganzen, die Überschrift über diesem Kapitel der deutschen Geschichte, Adolf Hitler.
„Es ist für mich heute schwer, wenn nicht unmöglich, zu sagen, wann mir zum ersten Male das Wort „Jude“ Anlaß zu besonderen Gedanken gab. Im väterlichen Hause erinnere ich mich überhaupt nicht, zu Lebzeiten des Vaters das Wort auch nur gehört zu haben. Ich glaube, der alte Herr würde schon in der besonderen Betonung dieser Bezeichnung eine kulturelle Rückständigkeit erblickt haben. Er war im Laufe seines Lebens zu mehr oder minder weltbürgerlichen Anschauungen gelangt, die sich bei schroffster nationaler Gesinnung nicht nur erhalten hatten, sondern auch auf mich abfärbten.“
(Mein Kampf, Seite 54)
Diese abgefärbte weltbürgerliche Anschauung seines Vaters, machte es für den jungen Adolf Hitler dann wohl auch so unangenehm, wenn in seiner Anwesenheit andere „die Juden“ zu ihrem Streitthema machten.
„Erst in meinem vierzehnten bis fünfzehnten Jahre stieß ich öfters auf das Wort Jude, zum Teil im Zusammenhange mit politischen Gesprächen. Ich empfand dagegen eine leichte Abneigung und konnte mich eines unangenehmen Gefühls nicht erwehren, das mich immer beschlich, wenn konfessionelle Stänkereien vor mir ausgetragen wurden. Als etwas anderes sah ich aber damals die Frage nicht an.“
(ebenda Seite 55)
Auch in weiteren Textstellen wird ersichtlich, dass der bereits vorhandene Antisemitismus in der damaligen Wiener Gesellschaft nicht Hitlers Ding war. Wie unangenehm ihm die erste Konfrontation mit der sogenannten Judenfrage war, dass lesen wir hier:
„Ich will nicht behaupten, daß die Art und Weise, in der ich sie [die Judenfrage Anm. d. Verf.] kennenlernen sollte, mir besonders angenehm erschien. Noch sah ich im Juden nur die Konfession und hielt deshalb aus Gründen menschlicher Toleranz die Ablehnung religiöser Bekämpfung auch in diesem Falle aufrecht. So erschien mir der Ton, vor allem der, den die antisemitische Wiener Presse anschlug, unwürdig der kulturellen Überlieferung eines großen Volkes. Mich bedrückte die Erinnerung an gewisse Vorfälle des Mittelalters, die ich nicht gerne wiederholt sehen wollte. Da die betreffenden Zeitungen allgemein nicht als hervorragend galten – woher dies kam, wußte ich damals selber nicht genau -, sah ich in ihnen mehr die Produkte bürgerlichen Neides als Ergebnisse einer grundsätzlichen, wenn auch falschen Anschauung überhaupt.
Bestärkt wurde ich in dieser meiner Meinung durch die, wie mir schien, unendlich würdigere Form, in der die wirklich große Presse auf all diese Angriffe antwortete oder sie, was mir noch dankenswerter vorkam, gar nicht erwähnte, sondern einfach totschwieg.“
(ebenda Seite 56)
Das Bild, dass sich hier vom jungen Adolf Hitler abzeichnet, ist vollkommen anders als das, was später daraus werden sollte. Hier möchte ich ansetzen. Denn es sind eigentlich nur eine schicksalshafte Begegnung und eine inhaltliche Bestätigung, die auf einem scheinbar harmlosen Fundament ein ideologisches Monster erwachen ließen.
Anfangen möchte ich mit dem Fundament, nämlich dem europäisch-abendländischen Nationalismus, von dem Adolf Hitler schon seit frühester Jugend vereinnahmt war. Man bemerkt diese europäisch-abendländische Komponente sehr gut, als er in seinem Buch die Juden aus Linz beschreibt, wo er lebte bevor er nach Wien ging.
„Linz besaß nur sehr wenig Juden. Im Laufe der Jahrhunderte hatte sich ihr Äußeres europäisiert und war menschlich geworden; ja, ich hielt sie sogar für Deutsche.“
(ebenda Seite 55)
Hier also ein positiver Bezug zu den Juden von Linz, weil sie sich im Laufe der Jahrhunderte „europäisiert“ hatten und dadurch „menschlich“ wurden. Ein klarer Hinweis auf die Herkunft der Juden, die ja nicht europäisch (bzw abendländisch) war, sondern orientalisch (bzw morgenländisch). Eine Unterscheidung die man heute auch noch (oder wieder) in der Gesellschaft und Politik vorfindet. Egal ob Geert Wilders, Helmut Schmidt oder Thilo Sarrazin, sie alle unterscheiden offen zwischen europäisch-abendländischen Migranten und orientalisch-morgenländischen Migranten. Also ein Fundament, welches auch heute noch in der Gesellschaft existent ist und von Teilen der Politik offen gepflegt wird.
Die schicksalshafte Begegnung ist der nächste Punkt, der wohl einen maßgeblichen Schub in der schrecklichen Entwicklung Adolf Hitlers bewirkt hatte. Der Adolf Hitler, der mit seiner europäisch-abendländischen Gesinnung bisher nur den Anblick der assimilierten Linzer Juden gewöhnt war, nahm sich nun in Wien vor, mit offenen Augen durch die Straßen der Großstadt zu wandeln und machte dabei eine höchst befremdlich wirkende Entdeckung.
„Es kam die Zeit, da ich nicht mehr wie in den ersten Tagen blind durch die mächtige Stadt wandelte, sondern mit offenem Auge außer den Bauten auch die Menschen besah.
Als ich einmal so durch die innere Stadt strich, stieß ich plötzlich auf eine Erscheinung in langem Kaftan mit schwarzen Locken.
Ist dies auch ein Jude? war mein erster Gedanke.
So sahen sie freilich in Linz nicht aus. Ich beobachtete den Mann verstohlen und vorsichtig, allein je länger ich in dieses fremde Gesicht starrte und forschend Zug um Zug prüfte, um so mehr wandelte sich in meinem Gehirn die erste Frage zu einer anderen Frage: Ist dies auch ein Deutscher? Wie immer in solchen Fällen begann ich nun zu versuchen, mir die Zweifel durch Bilder zu beheben. Ich kaufte mir damals um wenige Heller die ersten antisemitischen Broschüren meines Lebens.“
(ebenda Seite 59 / Hervorhebungen durch mich)
Was sah Adolf Hitler da in den Straßen Wiens, das sein Bild vom europäisch-abendländischen Juden so ins Wanken brachte? Laut Lenni Brenner (in Zionismus und Faschismus) begegnete er hier einem galizischen Chassiden, also einen Angehörigen einer mystischen Bewegung innerhalb des orthodoxen Judentums. Diese, als besonders fromm geltenden Juden, fallen vom äußerlichen Erscheinungsbild besonders durch ihren frei und lang gewachsenen Bart, ihre Stirnlocken und die orientalische Kleidung (Kaftan) auf … alles andere als europäisch-abendländisch eben.
Der erste Schritt war also getan. Getrieben von diesem einschneidendem Erlebnis, befasste sich Adolf Hitler also erstmals mit den antisemitischen Thesen in den einschlägigen Broschüren dieser Zeit. Aber der Antisemitismus manifestierte sich noch nicht vollends in seinem Kopf. Nein, er berichtet sogar von einem Rückfall …
„Endlich war die Tonart [in den Broschüren Anm. d. Verf.] meistens so, daß mir wieder Zweifel kamen infolge der zum Teil so flachen und außerordentlich unwissenschaftlichen Beweisführung für die Behauptung. Ich wurde dann wieder rückfällig auf Wochen, ja einmal auf Monate hinaus. Die Sache schien mir so ungeheuerlich, die Bezichtigung so maßlos zu sein, daß ich, gequält von der Furcht, Unrecht zu tun, wieder ängstlich und unsicher wurde.“.(ebenda Seite 60)
„Greilich daran, daß es sich hier nicht um Deutsche einer besonderen Konfession handelte, sondern um ein Volk für sich, konnte auch ich nicht mehr gut zweifeln; denn seit ich mich mit der Frage zu beschäftigen begonnen hatte, auf den Juden erst einmal aufmerksam wurde, erschien mir Wien in einem anderen Lichte als vorher. Wo immer ich ging, sah ich nun Juden, und je mehr ich sah, um so schärfer sonderten sie sich für das Auge von den anderen Menschen ab. Besonders die innere Stadt und die Bezirke nördlich des Donaukanals wimmelten von einem Volke, das schon äußerlich eine Ähnlichkeit mit dem deutschen nicht mehr besaß.“
(ebenda Seite 60)
„Aber wenn ich daran noch gezweifelt hätte, so wurde das Schwanken endgültig behoben durch die Stellungnahme eines Teiles der Juden selber. Eine große Bewegung unter ihnen, die in Wien nicht wenig umfangreich war, trat auf das schärfste für die Bestätigung des völkischen Charakters der Judenschaft ein: der Zionismus.„
(ebenda Seite 60 / Hervorhebung durch mich)
„Nichts hatte mich in kurzer Zeit so nachdenklich gestimmt als die langsam aufsteigende Einsicht in die Art der Betätigung der Juden auf gewissen Gebieten.“
(ebenda Seite 61)