Zitat: Angelika Neuwirth – Die Behauptung, dem Islam fehle die Aufklärung

„Die Behauptung, dem Islam fehle die Aufklärung ist auch ein uraltes Klischee. Der Stolz auf die Aufklärung, wenn er sich inzwischen allerdings auch etwas gelegt hat, verleitet immer wieder dazu, der westlichen Kultur gegenüber dem Islam einen erheblichen Vorsprung zuzumessen. In der islamischen Geschichte hat es zwar keine flächendeckende Säkularisierungsbewegung gegeben, dies aber deshalb nicht, weil Sakrales und Säkulares im Islam bereits nebeneinander existierten.

(Prof. Dr. Angelika Neuwirth, Deutsche Geistes- und Kulturwissenschaftlerin)

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Über Jens Yahya Ranft

Jens Yahya Ranft, Jahrgang 1975, verheiratet, 3 Kinder, Geschäftsführer und Prokurist in einem kleinen deutsch-arabischen Unternehmen. Urheber dieses Blogs. Liest und publiziert vor allem in den Bereichen Staats- und Religionsgeschichte, (Sozio-)Ökonomie, politische Philosophie und Soziologie.

Ein Gedanke zu „Zitat: Angelika Neuwirth – Die Behauptung, dem Islam fehle die Aufklärung

  1. Diese Behauptung ist in der Tat eigenartig. Denn sie unterschlägt die Tatsache, dass die Aufklärung das Resultat der europäischen Geistesgeschichte ist. Es ist somit kein natürlich gewachsener Prozess, der überall auf der Welt entstehen kann. Vielmehr liegen seine Ursachen in den soziopolitischen Verhältnissen, die damals in Westeuropa geherrscht haben. Ich beschränke das Ganze bewusst auf Westeuropa, weil der Ursprung dieser Epoche in der Auseinandersetzung mit der katholischen Kirche lag. Angefangen von der Reformation hat sich die gesamte Aufklärung in erster Linie gegen die katholische Kirche als höchste Instanz gerichtet. Demzufolge konnten und können sich nur jene Staaten bzw. Völker mit dem aufklärerischen Idealen identifizieren, die unmittelbar davon betroffen waren. Diese Länder sind hauptsächlich Deutschland, Frankreich, Großbritannien und die USA. Dies erklärt unter anderem auch, weshalb sich das aufklärerische Gedankengut in den orthodoxen Gebieten Europas (z. B. Russland und die Balkanstaaten) nicht durchsetzen konnte. Obwohl in diesen Ländern nach dem Kalten Krieg der Kapitalismus Einzug genommen hat und ihre Verfassungen auf Laizismus, Republikanismus und gewissen Freiheitsrechten fußen, schaffen es ihre Bürger dennoch nicht, auf dieser Basis eine Identität zu begründen. Schließlich haben sie mit der orthodoxen Kirche eine andere Erfahrung gemacht als Westeuropa mit dem Katholizismus. Erstere hatte nicht die selbe Machtstellung wie der Papst gehabt. Sie war gemäß der „Symphonia-Lehre“ mehr eine Art „Partner“ der damaligen Herrscher. Auch heute noch genießt die orthodoxe Kirche in den besagten Ländern ein gewisses Ansehen. Andererseits ist an der aktuellen politischen Ausrichtung Russlands deutlich zu erkennen, dass auf der Suche nach einer neuen Identität, die Denker und Vertreter der „Russischen Idee“ sinnstiftend wirken.

    Insgesamt begeht der Westen hierbei den Fehler (bewusst oder unbewusst), seine historischen Erfahrungen und die daraus gezogenen Konsequenzen auf alle Religions- und Kulturgemeinschaften kurzerhand zu übertragen und das „Projekt Aufklärung“ als Voraussetzung für einen modernen und fortschrittlichen Staat zu plakatieren. Die eigene Geistes- und Kulturgeschichte wird somit aus ihrem Kontext gerissen und, durch die eurozentrische Brille unterstützt, als Maß aller Dinge erhoben. Schaut man sich im Gegenzug den Islam und seine Geschichte an, wird man schnell feststellen, dass es derartige Konflikte und innere Verwerfungen, die die Autorität der Scharia bzw. des Korans in Frage stellen, niemals gab. Insofern erscheint die gesamte Debatte darüber, ob der Islam eine Aufklärung europäischer Couleur benötige und warum diese bislang ausblieb, völlig absurd. Denn sie lenkt von der eigentlichen Grundsatzdebatte ab.

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